SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehungen in sozialen Online-Netzwerken
Eine qualitative Untersuchung aus Perspektive der SchülerInnen
urn:nbn:de:0009-5-46615
Zusammenfassung
Dieser Artikel gibt einen ersten Überblick über SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehungen in den sozialen Online-Netzwerken (SON) Facebook und WhatsApp. Dazu wurden zwölf problemzentrierte Interviews mit SchülerInnen geführt und anschließend mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass SchülerInnen und LehrerInnen in unterschiedlichen Formaten auf SON kommunizieren und dabei über Themenbereiche aus Schule, aber auch Privatleben sprechen. Rollenbilder von SchülerInnen über ihre LehrerInnen umfassen Autoritäts- und Vertrauenspersonen, ExpertInnen und Leitfiguren.
Stichwörter: e-learning; Schule; Schüler-Lehrer-Beziehung; Soziale Online-Netzwerke; Soziale Medien; Facebook; WhatsApp; Qualitative Inhaltsanalyse; Problemzentriertes Interview
Abstract
This article gives a first overview over student-teacher-relationships on the social networking sites (SNS) Facebook and WhatsApp. Twelve problem-centered interviews with students were held and interpreted using a qualitative content analysis. Results show, that students interact with their teachers in different formats and speak about topics ranging from school matters to private life. Students’ ideas about their teachers’ roles include authority figures and persons of trust, experts and leaders.
Keywords: e-learning; School; Student-Teacher-Relationships; Social Networking Sites; Social Media; Facebook; WhatsApp; Qualitative Content Analysis; Problem-centred Interview
Facebook wirbt mit dem Slogan „Facebook ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen.” (Facebook 2016). Diese Möglichkeit bietet sich auch SchülerInnen und LehrerInnen. Die Interaktion von SchülerInnen und LehrerInnen in sozialen Online-Netzwerken (SON) [1] sind Forschungsgegenstand dieses Artikels. Die in diesem Artikel fokussierten sozialen Online-Netzwerke sind Facebook und WhatsApp aufgrund der hohen Nutzungszahlen von Facebook allgemein und der nahezu flächendeckenden Verbreitung von WhatsApp bei Jugendlichen (Feierabend et al. 2016). Im vorliegenden Artikel sollen erste Ergebnisse zum Themenkomplex Beziehungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen in sozialen Online-Netzwerken aus Perspektive der SchülerInnen vorgestellt werden. Die Forschungsfragen, die sich aus dem Forschungsstand ergeben und in dieser empirischen Studie beantwortet werden sollen, sind die folgenden:
-
Welche Erfahrungen machen SchülerInnen auf Facebook oder WhatsApp mit ihren LehrerInnen?
-
Über welche Themen sprechen SchülerInnen und LehrerInnen per Facebook oder WhatsApp?
-
In welchen Formaten [2] kommunizieren SchülerInnen und LehrerInnen per Facebook oder WhatsApp?
-
-
Welche Vorstellung von Aufgaben und Rollen von LehrerInnen haben SchülerInnen?
-
In welchem Zusammenhang stehen bereits erlebte Erfahrungen der SchülerInnen und Einstellungen über die Rolle von LehrerInnen mit deren Einstellungen über Beziehungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen?
Zur Beantwortung dieser Fragen wurden zwölf problemzentrierte Interviews (Witzel 2000a) geführt und anschließend mit einer qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1990) ausgewertet.
Um den Forschungsstand rund um das Thema SON in der Schule aufzuarbeiten, wurden 39 einschlägige Artikel rund um Facebook und andere SON in Lehr-Lern-Kontexten im weitesten Sinne analysiert und klassifiziert. Insgesamt konnten acht Themenfelder identifiziert werden, die anhand exemplarischer Forschungsvorhaben im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.
In die erste Kategorie Facebook-Nutzung und Motive wurden fünf Artikel eingeordnet, die das Verhalten von verschiedenen Personengruppen in Bezug auf ihre Facebook-Nutzung, deren Motive, sowie Einstellungen zu und über Facebook untersuchen. So ist exemplarisch die quantitative Studie von Roblyer, McDaniel, Webb, Herman & Witty (2010) zu nennen. Diese bearbeitet nicht nur die Facebook-Nutzung von Studierenden, sondern auch von MitarbeiterInnen der Universität (wissenschaftlicher sowie technisch-administrativer Tätigkeiten). In ihrem Artikel „Findings on Facebook in Higher Education: A comparison of college faculty and student uses and perceptions of social networking sites“ vergleichen sie die Gruppe Studierende (N=120) und MitarbeiterInnen (N=62) mithilfe einer Online-Umfrage miteinander und kommen zu dem Ergebnis, dass das Nutzungsverhalten zwar ähnlich ist, MitarbeiterInnen aber vergleichsweise häufiger und eher ihre Emails checken, als Facebook. Zudem sind Studierende offener gegenüber der Möglichkeit eingestellt, Facebook im hochschulischen Kontext zu nutzen (Roblyer, McDaniel, Webb, Herman und Witty 2010).
Der zweiten Kategorie wurden weitere vier Artikel zugeteilt. Im Gegensatz zur ersten Kategorie werden hier nicht nur Personen an Bildungseinrichtungen befragt, zudem ist auch die Plattform selbst Gegenstand der pädagogischen Betrachtung: Facebook als Lernplattform. Ein Beispiel für Untersuchungen aus diesem Themenkomplex ist ein Artikel, dessen zentrale Fragestellung die Eignung von Facebook als Lernplattform für das Erlernen der englischen Sprache darstellt. Kabilan, Ahmad & Abidin (2010) untersuchen dies in ihrem Artikel „Facebook: an online environment for learning of English in institutions of Higher Education?“. 300 Studierende aus Malaysia wurden quantitativ befragt und Ergebnisse sind, dass die Potentiale von Facebook zum Erlernen der englischen Sprache hoch eingestuft werden, besonders die der Chat-Funktion. Auch zum Lernen/Üben von Grammatik sowie zur Steigerung des Selbstbewusstseins in Bezug auf die Sprachfähigkeiten schätzen Studierende Facebook als geeignet ein (Kabilan, Ahmad und Abidin 2010).
Die dritte Kategorie Technische Medien in der Schule umfasst vier Artikel, die den Einsatz neuer Technologien und Medien im Schulkontext behandeln. Gegenstand dieser Artikel sind Smartphones und soziale Software/Web 2.0 Technologien und deren Einsatz durch SchülerInnen und LehrerInnen, in der Schule, sowie zum Lernen zu Hause. „’The digital native’ in context: tensions associated with importing web 2.0 practices into the school setting“ ist der Titel, den Crooks Arbeit (2012) zum Thema Web 2.0 in der Schule trägt. Forschungsfrage ist u.a., wie Web 2.0 Technologien in schulisches und außerschulisches Lernen integriert werden können. Dazu wurden SchülerInnen befragt, um herauszufinden, wie SchülerInnen Web 2.0 Anwendungen für schulische Zwecke nutzen (z.B. Hausaufgaben). Ergebnis ist, dass SchülerInnen Google (81%) oder Wikipedia (52%) sehr häufig nutzen, aber sie deren Quellenvielfalt sehr verwirrend finden. Diverse Probleme mit Technologien in der Schule wurden identifiziert. So werden im Artikel u.a. Auszüge aus den Interviews in Bezug auf eine „copy-and-paste“-Problematik, dem Missverhältnis von Kollaboration und unabhängigem, eigenständigem Arbeiten, und Differenzen zwischen Freizeit und Schulzeit in Bezug auf die Nutzung von Technologien aufgeführt (Crook 2012).
Zwei Artikel in der Kategorie Neue Medien in der Sozialarbeit diskutieren den Einsatz neuer Medien in der Sozialarbeit und damit verbundene Chancen und Risiken. Dieser Themenkomplex ist insofern für den Forschungsstand relevant, da er sich mit neuen Medien in professionellen pädagogischen Beziehungen befasst. „Standards der Online-Beratung“ des Vereins Wiener Sozialprojekte (2006) umfasst einen Leitfaden zur Online-Beratung von beispielweise Drogensüchtigen. Es werden diverse Möglichkeiten der Gesprächsführung via neuer Medien (Email, webbasierte Einzelberatungen, Gruppenchats usw.) vorgestellt und praktische Tipps zur Durchführung gegeben (Weissenböck, Ivan, Lachout, Wilschnewski, Berg und Schopp 2006).
Die fünfte Kategorie umfasst sämtliche Literatur, die sich mit kognitiven, sozialen oder individuellen Effekten der Facebook-Nutzung befasst. Greenhow & Robelia (2009) stellen in ihrem Artikel „Informal learning and identity formation in online social networks“ eine qualitative Studie zum Zusammenhang von Lernen und Identitätsfindung in SONs vor. Befragt wurden ausschließlich SchülerInnen aus einkommensschwachen Familien. Es wurden 2007 (N=852) und 2008 (N=600) SchülerInnen in Form einer Umfrage und mehrerer Gruppendiskussionen zu ihrer Nutzung des sozialen Netzwerks M11 befragt. Die Autorinnen kommen zu dem Ergebnis, dass SchülerInnen durchaus arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten wie Kreativität, technologische Fertigkeiten und Kommunikationsfähigkeit durch die Nutzung sozialer Online-Netzwerke erwerben können (Greenhow und Robelia 2009).
Der Kategorie Sicherheit und Privatsphäre wurden sechs Artikel zugeordnet. Alle Berichte handeln von Datenschutz, Sicherheitsrisiken sowie Privatsphäreproblematiken rund um SON in pädagogischen Kontexten, z.B. der Schule. „Sollte Facebook uns Angst machen? Medienpädagogische Arbeit und ihre Herausforderungen am Beispiel ‘soziale Netzwerke’” ist der Titel der Untersuchung von Büdgens-Kosten & Wefelnberg (2016) zu Angstgefühlen in SON. Eingesetzt als pädagogischen Mittel, aber auch vorkommend als ungewünschter Nebeneffekt, ist Angst eine zentrale Emotion in sozialen Netzwerken. Ziel dieser Literaturarbeit ist es, Chancen und Herausforderungen pädagogischer Arbeit sowie Handlungsoptionen derer aufzuzeigen (Bündgens-Kosten und Wefelnberg 2016).
In die Kategorie Wahrnehmung von Lehrpersonen auf Facebook wurden drei Artikel eingruppiert, die sich mit der Wahrnehmung von DozentInnen oder ProfessorInnen auf Facebook beschäftigen. Mazer, Murphy & Simonds (2007) berichten in „I’ll see you on ‚Facebook’: the effects of computer-mediated teacher self-disclosure on motivation, affective learning and classroom climate“ vom Zusammenhang von Offenlegung persönlicher Informationen im Facebook-Profil der Lehrperson mit der Wahrnehmung von Studierenden in Bezug auf Motivation, affektivem Lernen und Klassenklima. Dazu wurden 133 Studierende aus Bachelor-Kursen mithilfe von Facebook-Profilen fiktiver Lehrpersonen und einem angeschlossenen quantitativen Fragebogen untersucht. Alle Hypothesen dieser Forschungsarbeit wurden empirisch belegt, d.h. Studierende schätzen alle drei Faktoren (Motivation, affektives Lernen, Klassenklima) höher ein, je höher die Preisgabe persönlicher Information des Lehrenden auf Facebook ist (Mazer, Murphy und Simonds 2007).
Die letzte Kategorie Professionelle Beziehungen auf Facebook umfasst sämtliche Forschung zu LehrerInnen-SchülerInnen-/DozentInnen-StudentInnen-Beziehungen an Schulen und/oder Universitäten in insgesamt vier Artikeln. Hewitt & Forte (2006) untersuchten die Studierenden-DozentInnen-Beziehungen auf Facebook und deren Einfluss auf die Bewertung der Veranstaltung. „Crossing boundaries: identity management and student/faculty relationships on the Facebook“ nennt sich ihr Artikel, in dem 176 Studierende mithilfe einer quantitativen Umfrage untersucht wurden. Ergebnis ist, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen mit und ohne Facebook-Account in Bezug auf ihre Bewertung von DozentInnen gibt. Zwei Drittel der Studierenden gaben an, dass sie die Anwesenheit von Lehrenden auf Facebook angemessen fanden. Positive Argumente für die Nutzung von Facebook im universitären Kontext sind hauptsächlich die Erleichterung der Kommunikationswege und die Möglichkeit, DozentInnen besser kennenzulernen (Hewitt und Forte 2006).
Anhand dieser exemplarischen Vorstellung der vorliegenden Literatur zu sozialen Online-Netzwerken in Lernkontexten wird deutlich, dass Forschung in diesem Bereich oft Themen untersucht, die mit der Nutzung des SON zusammenhängen, die kognitive Effekte von Facebook in den Mittelpunkt stellen oder nach der Bewertung von LehrerInnen oder MitarbeiterInnen anderer Bildungsinstitutionen in Abhängigkeit von deren Facebook-Nutzung fragt. Oft werden Studierende befragt und untersucht, da ein Großteil dieser Forschung an Universitäten stattfindet und Studierende einen leicht erschließbaren Zugang zum Feld darstellen. Ihre Rolle als Lernende steht dabei selten im Mittelpunkt.
Die Perspektive von SchülerInnen wird an solchen Stellen untersucht, an denen man den Einzug von Technologien (Smartphones, Tablets) und Anwendungen (SON, Social Software) in die freizeitlichen Lebenswelten der jungen Menschen, aber nicht ausreichend in die Institution Schule beobachten kann oder Befürchtungen in Bezug auf Datenschutz und/oder Privatsphäre unterstützen möchte.
Forschung zur Nutzung von Facebook als Lernplattform ist stellenweise auch vorhanden. Hierbei stehen die Funktionen der Anwendung und die „Zweckentfremdung“ dieser zum Lernen im Vordergrund. Auf Grund der bisherigen Schwerpunkte der dargelegten Forschungsvorhaben ist Ziel dieser Studie, SchülerInnen zu ihrer Perspektive zu befragen, um nicht nur ihre Erfahrungen und deren Bewertungen mit Facebook- und WhatsApp-Kontakten mit LehrerInnen, sondern auch ihre Vorstellungen zu Rollenbildern von Lehrenden aufzudecken.
Die angewandten Methoden zur Bearbeitung der drei Forschungsfragen umfassen in der Phase der Datenerhebung das problemzentrierte Interview (Witzel 2000a), in der Auswertung die qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring 1990) sowie die Typenbildung (Flick 2009, 189). Diese sollen Gegenstand dieses Kapitels sein. Zunächst wird das Sampling beschrieben.
Es wurden insgesamt 12 SchülerInnen im Alter von 15-18 Jahren aus Rheinland-Pfalz und Hessen befragt. Alle befragten SchülerInnen wurden auf privatem Wege kontaktiert. Die SchülerInnen kennen sich teilweise untereinander, teilweise nicht. Einige SchülerInnen kennen mich seit mehreren Jahren aus der Jugendarbeit, andere SchülerInnen akquirierte ich über bereits interviewte SchülerInnen und lernte sie am Tage des Interviews erstmals persönlich kennen. Die Interviews dauerten zwischen acht und 24 Minuten, Vor- und Nachgespräche teilweise bis zu zwei Stunden. Eine Übersicht der befragten Personen, deren demografische Daten, Schulart und ihr Kontakt zu LehrerInnen auf Facebook und WhatsApp ist in der folgenden Tabelle dargestellt:
Person |
Geschlecht |
Alter |
Schulklasse |
Schulart |
Anzahl Facebook-Freundschaften mit LehrerInnen |
Anzahl der LehrerInnen unter WhatsApp-Kontakten |
Waldemar |
männlich |
16 |
10 |
Gymnasium |
2-3 |
6 |
Mathilde |
weiblich |
16 |
10 |
Gymnasium |
0 |
0 |
Theodor |
männlich |
18 |
12 |
Gymnasium |
2 |
1 |
Verona |
weiblich |
15 |
10 |
Realschule |
0 |
0 |
Arthur |
männlich |
15 |
10 |
Gymnasium |
0 |
1 |
Oskar |
männlich |
15 |
10 |
Gymnasium |
1 |
1 |
Nuria |
weiblich |
18 |
13 |
Gymnasium |
2 |
0 |
Elfriede |
weiblich |
18 |
12 |
Gymnasium |
2 |
0 |
Marla |
weiblich |
17 |
11 |
Berufliche Schule |
6-8 |
1 |
Alice |
weiblich |
18 |
12 |
Gymnasium |
0 |
2 |
Felix |
männlich |
17 |
12 |
Gymnasium |
1 |
2 |
Adele |
weiblich |
18 |
12 |
Gymnasium |
0 |
1 |
Tab. 1: Übersicht der befragten Personen
Als Erhebungsmethode wurde das problemzentrierte Interview nach Andreas Witzel (2000) ausgewählt. Das problemzentrierte Interview (PZI) ist ein „theoriegenerierendes Verfahren, das den vermeintlichen Gegensatz zwischen Theoriegeleitetheit und Offenheit dadurch aufzuheben versucht, dass der Anwender seinen Erkenntnisgewinn als induktiv-deduktives Wechselspiel organisiert“ (Witzel 2000a). Strategien des PZI zielen auf die Darstellung „subjektiver Wahrnehmungen und Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität” (Witzel 2000a [1]). Aus diesem Grund wurde im Kontext dieser Arbeit diese Erhebungsmethode ausgewählt.
Es lassen sich drei Grundpositionen des PZI skizzieren: Problemzentrierung, Gegenstandsorientierung und Prozessorientierung (Witzel 2000a [3], [4]).
Die Problemzentrierung meint die „Orientierung an einer gesellschaftlich relevanten Problemstellung” (Witzel 2000a). Die ForscherInnen befassen sich mit objektiven Rahmenbedingungen, um die Handlungsweisen und Perspektiven der befragten Personen nachvollziehen zu können. Explikationen der Befragten sollen nachvollzogen werden, was ermöglicht, dass am Problem orientierte Nachfragen gestellt werden können. Die Problemzentrierung umfasst weiterhin ein Verständnis des Erkenntnisprozesses, das darauf abzielt, Vorannahmen sowie Interpretationen aus der Entstehung des Materials in den Forschungsprozess einfließen zu lassen (Witzel 2000a [4]).
„Die Gegenstandsorientierung betont die Flexibilität der Methode gegenüber den unterschiedlichen Anforderungen des untersuchten Gegenstands“ (Witzel 2000a, [4]). Die Methoden sollen am Gegenstand entwickelt und ggfs. verändert werden, sodass möglichst relevantes Material entsteht. Witzel skizziert drei Erhebungselemente, die je nach Gegenstand und Befragten gebraucht oder kombiniert werden können: Gruppendiskussion, die biografische Methode und das Interview mit oder ohne standardisierten Fragebogen. Das Interview steht hierbei allerdings im Mittelpunkt. Weiterhin können Forschende auch die Gesprächstechniken flexibel einsetzen, je nach Eloquenz und Reflexivität der Befragten (Witzel 2000a [4]).
Die Prozessorientierung bezieht sich nicht nur auf die Interviewführung, sondern auf den gesamten Forschungsablauf. Sofern es dem oder der Forschenden gelingt durch die sorgfältige Aufarbeitung des Gegenstandes und dessen Rahmenbedingungen ein Verständnis für die Befragten zu entwickeln, können diese Vertrauen zum Forschenden aufbauen. „Dieses Vertrauensverhältnis fördert die Erinnerungsfähigkeit und motiviert zur Selbstreflexion” (Witzel 2000a [4]). Im Idealfall entwickelt sich so ein Raum, in dem die Befragten „neue Aspekte zum gleichen Thema, Korrekturen an vorangegangenen Aussagen, Redundanzen und Widersprüchlichkeiten” äußern können, was den Forschenden darlegt, welche individuellen Ambivalenzen oder Unentschlossenheiten vorliegen (Witzel 2000a [4]).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Methodik des PZI besonderes Augenmerk auf die gesellschaftliche Relevanz des Untersuchungsgegenstands, die Flexibilität des Forschungsprozesses sowie die Orientierung am Gegenstand in den Mittelpunkt rückt.
Zentrale Elemente des PZI sind Leitfaden, Kurzfragebogen, Tonträgeraufzeichnung und Postskriptum (Witzel 2000a [5]). Der Leitfaden umfasst die Forschungsthemen und dient dem oder der Interviewenden als Gedächtnisstütze. Zudem soll durch die Verwendung eines Leitfadens die Vergleichbarkeit der Interviews ermöglicht werden. Darüber hinaus enthält eine vorformulierte Frage für den Gesprächseinstieg sowie weitere Frageideen für den Fall, dass das Gespräch ins Stocken gerät (Witzel 2000, [8]). Der Kurzfragebogen enthält Informationen über die befragte Person, z.B. demographische Daten. Er dient dazu, Informationen zu sammeln ohne diese im Frage-Antwort-Schema abzufragen und ermöglicht somit eine Trennung zwischen rein informativen Fragen (Kurzfragebogen) und erzählgenerierenden Fragen (Befragung) (Witzel 2000, [6]). In dieser Studie wurde z.B. die Anzahl an Facebook-Freundschaften mit LehrerInnen per Kurzfragebogen abgefragt. Die Tonträgeraufzeichnung ermöglicht eine authentische und präzise Erfassung des Gesagten und somit ein vollständiges Transkribieren. Dies eröffnet ForscherInnen die Möglichkeit, sich voll und ganz auf das Gespräch zu konzentrieren (Witzel 2000, [7]). Das Postskriptum wird direkt am Anschluss an das Interview notiert und enthält neben Notizen zu Gesprächsinhalten auch Anmerkungen zur Situation, der Stimmung, nonverbalem Verhalten etc. Es werden Auffälligkeiten und Gedanken zur Auswertung sowie Interpretationsideen notiert (Witzel 2000, [9]).
Die zwölf Interviews wurden transkribiert, um sie anschließend auswerten zu können.
Um Antworten auf die Forschungsfragen 1a/b und 2 (Erfahrungen, also Themen/Formate, Rollenbilder) zu finden, wurde eine qualitative Inhaltsanalyse zusammenfassender Art (Mayring 1990)und für die Forschungsfrage 3 (Zusammenhang von Erfahrungen und Rollenbildern) eine auf die Inhaltsanalyse aufbauende Typenbildung (Flick 2009, 189) durchgeführt.
Das vorliegende Datenmaterial wurde mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (1990) ausgewertet. Die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring ist ein Verfahren, welches „streng methodisch kontrolliert das Material schrittweise analysiert. […] Im Zentrum steht dabei ein theoriegeleitet am Material entwickeltes Kategoriensystem, durch dieses […] werden diejenigen Aspekte festgelegt, die aus dem Material herausgefiltert werden sollen“ (Mayring 2002, 114). Die Technik der qualitativen Inhaltsanalyse zeichnet sich somit durch ihre schrittweise Analyse, ihre Kategorisierung und eine Filterung des Materials auf Grundlage dieser aus. Mayring schlägt drei verschiedene Grundformen der qualitativen Inhaltanalyse vor: Zusammenfassung, Explikation und Strukturierung. Jede dieser Formen verfolgt ein anderes Ziel. Im Kontext dieser Studie wurde die Art der Zusammenfassung genutzt, da das Ziel dieser ist, „das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion ein überschaubares Korpus zu schaffen, das immer noch Abbild des Grundmaterials ist“ (Mayring 2002, 115). Um die Forschungsfragen 1 und 2 zu beantworten, ist das Zusammenfassen der geführten Interviews notwendig. So ist es möglich einen Überblick über das Spektrum der unterschiedlichen Erfahrungen in SON mit LehrerInnen und der Vorstellungen von Rollen von LehrerInnen zu geben.
Die inhaltsanalytische Methode der Zusammenfassung beinhaltet laut Mayring eine induktive Kategorienbildung. Kategorisierungsdimension und Abstraktionsniveau müssen laut Mayring vor Beginn der Analyse festgelegt werden. Zudem muss ein Selektionskriterium für die Kategorisierung bestimmt werden. Wurde das Selektionskriterium auf Grundlage von theoretischer Verortung und Fragestellung der Forschungsarbeit bestimmt, so gilt es, diese im Kopf zu behalten und nun das Material zu sichten (Mayring 2002, 116). Zunächst werden auf Grund von Textstellen Kategorien entworfen. Weitere Textstellen, die zu dieser Kategorie passen, werden dieser zugeordnet (Subsumption). Passt eine Passage nicht zu den bereits vorliegenden Kategorien, so wird eine neue Kategorie gebildet. Nach dem Durchgang von etwa 10-50% des Materials werden die Kategorien auf ihre Qualität geprüft. Sie dürfen nicht überlappen und zudem sollte der Abstraktionsgrad zur Fragestellung passen. Falls nun Änderungen vorgenommen werden müssen, wird das Material von vorne bearbeitet (Mayring 2002, 116).
Eine tabellarische Auflistung der Interpretationsregeln ermöglicht es den Forschenden, sehr gründlich und strukturiert vorzugehen. Der Prozess gliedert sich in vier Schritte: Paraphrasierung (Z1), Generalisierung auf das Abstraktionsniveau (Z2), Erste Reduktion (Z3) und Zweite Reduktion (Z4) (Mayring 1990, 58).
Die Typenbildung ist „ein häufig eingesetzter Schritt der Verdichtung und Darstellung von Ergebnissen“ (Flick 2009, 185). Dies gelingt im Kontext dieser Arbeit auf Grundlage der zuvor erstellten Kategorien der qualitativen Inhaltsanalyse. Zur Erstellung einer Typenbildung muss zunächst eine Vergleichsdimension benannt werden um anschließend die Fälle anhand dieser Dimension zu gruppieren um dabei empirische Regelmäßigkeiten aufdecken zu können (Flick 2009, 185f). Zusätzlich sollte das Spektrum der möglichen Aussagen umrissen werden, um die individuellen Fälle einordnen zu können. Anschließend werden mögliche Sinnzusammenhänge analysiert um abschließend die gebildeten Typen zu charakterisieren (Flick 2009, 186).
Im Falle dieser Studie wurde die Vergleichsdimension der Einstellungen von SchülerInnen zu den Möglichkeiten der Veränderung der SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehung durch den Kontakt via SON genutzt um mögliche Typen zu bilden, um deren Vorstellungen und Erfahrungen miteinander zu vergleichen.
Im Folgenden sollen die Ergebnisse der Erhebung zusammengefasst dargestellt werden. Die Ergebnisdarstellung gliedert sich gemäß der Forschungsfragen in Erfahrungen mit LehrerInnen in SON, Vorstellungen von Rollen von LehrerInnen und möglicher Zusammenhänge zwischen Erfahrungen, Rollenbildern und Einstellungen über SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehungen in SON.
Um den Forschungsfragenkomplex (1):
-
Welche Erfahrungen machen SchülerInnen auf Facebook oder WhatsApp mit ihren LehrerInnen?
-
Über welche Themen sprechen SchülerInnen und LehrerInnen per Facebook oder WhatsApp?
-
In welchen Formaten kommunizieren SchülerInnen und LehrerInnen per Facebook oder WhatsApp?
-
zu beantworten, wurden sämtliche Passagen der Interviews, in denen SchülerInnen von Kontakt mit LehrerInnen auf sozialen Online-Netzwerken berichteten, mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse aus den Interviews gefiltert und in Form von Kategorien zusammengefasst. Das Spektrum der Erfahrungen von SchülerInnen gliedert sich in Themen und Formate.
K1: Themen
-
T1: Themen rund um Unterricht
-
T2: Themen rund um Ausflüge im Klassenverband
-
T3: Themen rund um schulische Freizeitangebote
-
T4: Themen rund um Wohlbefinden
-
T5: Themen rund um Freizeitgestaltung.
Die folgenden Tabellen sollen jeweils einen Überblick über die Subkategorien und deren Ausprägungen, deren Definitionen und relevante Ankerbeispiele geben.
Kategorie |
Subkategorien |
Definition |
Ankerbeispiele |
K1: Themen |
T1: Themen rund um Unterricht |
Inhalte der Konversation via SON zwischen SchülerInnen und LehrerInnen, die um (a) den Unterrichtsstoff, (b) die Organisation des Unterrichts, oder (c) sonstige Themen in Bezug auf den Unterricht kreisen. |
Alice: „ich hatte jetzt eine Präsentation und wusste jetzt nicht genau weiter und hab auch meine Mitschüler gefragt, die haben mir nicht weitergeholfen. Dann bin ich direkt auf meinen Lehrer, also hab ihn angeschrieben (...) auf einmal hat er mir geantwortet, mit Quellen, die ich nachschauen kann“ (Z. 20ff) Marla: „Sie hat uns nur mal geschrieben, wenn sie mal im Stau stand, damit wir Bescheid wussten, dass sie halt auch noch kommt“ (Z. 15f) |
T2: Themen rund um Ausflüge im Klassenverband |
Inhalte der Konversation via SON zwischen SchülerInnen und LehrerInnen, die um (a) die Organisation von Ausflügen im Klassenverband (z.B. Wandertage, Klassenfahrten) oder (b) sonstige Themen in Bezug auf Ausflüge im Klassenverband kreisen. |
Marla: „Wenn wir auf Klassenfahrt oder so gefahren sind, damit wir denen schreiben können, falls irgendwas passiert oder dass die uns schreiben, wenn wir wieder zurückkommen sollen oder so“ (Z. 48ff) |
|
T3: Themen rund um schulische Freizeitangebote |
Inhalte der Konversation via SON zwischen SchülerInnen und LehrerInnen, die um (a) Inhalte eines schulisches Freizeitangebots (z.B. AG, Sportgruppe, Chor), (b) die Organisation eines schulisches Freizeitangebots oder (c) sonstige Themen in Bezug auf schulische Freizeitangebote kreisen. |
Arthur: „Ja, was wir die nächste AG-Stunde machen, oder jetzt beim Tag der offenen Tür, was wir noch vorbereiten müssen oder was ich jetzt geplant habe für die verschiedenen Gruppen, was ich noch brauche, was er noch mitbringen soll, solche Sachen halt.“ (Z. 25ff) |
|
T4: Themen rund um das Wohlbefinden |
Inhalte der Konversation via SON zwischen SchülerInnen und LehrerInnen, die um (a) das Wohlbefinden der Beteiligten, (b) Feierlichkeiten im Leben der Beteiligten oder (c) Scherze oder Witze im Kontext der Konversation kreisen. |
Alice: „Einmal war das halt bei mir so, dass wir einen Todesfall hatten, (...) Und da haben wir uns ausgetauscht gehabt, da hat er mich glaube ich gefragt, wie es mir geht und ob es jetzt besser ist“ (Z. 73ff) Waldemar: „Also der eine hat mir mal zum Geburtstag gratuliert oder so“ (Z. 6f) |
|
T5: Themen rund um Freizeitgestaltung |
Inhalte der Konversation via SON zwischen SchülerInnen und LehrerInnen, die um die private Freizeitgestaltung der Beteiligten kreisen. |
Adele: „Mit unserer Lehrerin ist das so, dass sie uns auch teilweise private Sachen schickt oder irgendwie auch Bilder von ihrer Katze und so“ (Z. 8f) |
Tab. 2: Kategorien Themen
Als Antwort auf die Frage 1b wurde die Kategorie Formate entwickelt.
K2: Formate
-
F1: Formate ohne Verknüpfung
-
F2: Formate mit individueller Verknüpfung
-
F3: Formate mit kollektiver Verknüpfung.
Kategorie |
Subkategorie |
Definition |
Ankerbeispiele |
K2: Formate |
F1: Formate ohne Verknüpfung |
Möglichkeit, auf sozialen Online-Netzwerken Informationen von und über andere Personen ohne offizielle Verknüpfung einzusehen. |
Beispiele: Facebook-Profile anschauen, Instagram-Bilder anschauen, Senden von Freundschaftsanfragen Mathilde: „Also eine Lehrerin, das hat mir eine Freundin geschickt, ein Bild, was halt richtig komisch aussah und das wollte ich halt auf Facebook suchen“ (Z. 86f) |
F2: Formate mit individueller Verknüpfung |
Möglichkeit, sich mit Personen auf SON zu verknüpfen, anschließend optionales Einzusehen und/oder Austauschen von Informationen. |
Beispiele: Facebook-Freundschaften, Einzelchats auf WhatsApp Waldemar: „Also auf Facebook habe ich zwei glaube ich, aber mit denen schreibe ich nicht. Also der eine hat mir mal zum Geburtstag gratuliert oder so“ (Z. 6f) |
|
F3: Formate mit kollektiver Verknüpfung |
Möglichkeit, sich mit Personen auf SON im Rahmen einer Gruppierung zu verknüpfen, anschließend Informationen einzusehen und/oder auszutauschen. |
Beispiele: Facebook-Gruppen, WhatsApp-Gruppen Oskar: „Also wir schreiben z.B. hatten wir jetzt Tag der offenen Tür, dann wurde halt noch mal geschrieben, wie das jetzt ist mit, wer da ist, wer da helfen kann“ (Z. 27f) |
Tab. 3: Kategorien Formate
Um die Forschungsfrage 2 (Welche Vorstellung von Aufgaben und Rollen von LehrerInnen haben SchülerInnen?) zu beantworten, wurden ebenfalls mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse Kategorien gebildet.
Die erstellten Kategorien zur Rolle und Aufgaben von LehrerInnen sind:
-
R1: LehrerInnen als Autoritätspersonen
-
R2: LehrerInnen als Vertrauenspersonen
-
R3: LehrerInnen als ExpertInnen
-
R4: LehrerInnen als Leitfiguren.
Kategorie |
Subkategorien |
Definition |
Ankerbeispiele |
K3: Rollenbilder |
R1: Autoritätsperson |
(a) Perspektive auf LehrerInnen als distanzierte Respektpersonen, die disziplinieren, objektiv und neutral sind. (b) Ablehnung einer solchen Perspektive. |
Felix: „Das ist für mich besser, wenn ich den Lehrer wirklich nur mit dem Unterrichtsstoff in Verbindung bringe, weil das ja wirklich das einzige ist, was in der Schule dann wichtig ist. Also eine neutrale, kalte Person, über die ich nicht so viel weiß, außer dass sie den Unterrichtsstoff mag oder so“ (Z. 88). Elfriede: „Es gibt nichts Schlimmeres als so herrschende Lehrer“ (Z. 70f). |
R2: Vertrauensperson |
(a) Perspektive auf LehrerInnen als schülernahe Vertrauenspersonen, die verständnisvoll und menschlich sind und auch Ansprechpartner für private Probleme sind. (b) Ablehnung einer solchen Perspektive. |
Adele: „Zum Beispiel in der 10. Klasse ging meine Jugendbeziehung auseinander, oder wie man das sagen könnte. Und meine Klassenlehrerin, das war halt eine sehr kontaktfreudige Person und die konnte auch diesen Exfreund da gut leiden und mich halt gut leiden und ich weiß nicht, dann habe ich ewig lang mit ihr darüber erzählt und die hat mir dann noch mal einen Rat gegeben und hat dann (lacht) ewig lang mit mir praktisch über die ganze Sache diskutiert. Und das fand ich schön zu wissen, dass auch so, dass auch die Privatperson da existiert, also nicht nur dieses Schüler-Lehrerverhältnis praktisch“ (Z. 82ff). Verona: „Mir wäre das auch unangenehm, wenn ich dann im Unterricht sitze und der weiß dann meine ganzen Probleme mit meiner Familie und mit meinen Freunden, deswegen gehe ich dann lieber zu meinen besten Freunden oder Freundinnen, die mir dann da so weiterhelfen können“ (Z. 67ff). |
|
R3: ExpertIn |
Perspektive auf LehrerInnen als kompetente ExpertInnen für Unterrichtsstoff und Methodik. |
Nuria: „Also, ich würde sagen, ein Lehrer hat natürlich die Aufgabe, einem was beizubringen. Ganz normal, so stoffmäßig halt, was der so lehrt. Aber natürlich auch so, was ich jetzt gerade in der Oberstufe gemerkt habe, viel methodisches Arbeiten, also was einem dann auch später hilft. An Texte rangehen und sowas“ (Z. 90ff). |
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R4: Leitfigur |
Perspektive auf LehrerInnen als leitende Lernhelfer, die begeistern und Interesse wecken können. |
Arthur: „Interesse wecken. Ja und dann halt die Schüler dazu bringen, den Stoff anzunehmen und auch zu verstehen“ (Z. 85f). Arthur: „Dass man auch eben Verbesserungsvorschläge bringt und eben als unterstützende Hilfe anwesend ist“ (Z. 90ff). |
Tab. 4: Kategorien Rollenbilder
Um die Forschungsfrage 3 In welchem Zusammenhang stehen bereits erlebte Erfahrungen der SchülerInnen und Einstellungen über die Rolle von LehrerInnen mit deren Einstellungen über Beziehungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen? zu beantworten, wurden die erlebten Erfahrungen, Rollenverständnisse und Einstellungen zu Beziehungen in den Interviews markiert und anschließend in Form einer Tabelle für die unterschiedlichen Personen zusammengefasst. Die Kategorie „Einstellungen zu Beziehungen“ wurde bisher aus Platzgründen nicht ausführlich aufgeführt, soll an dieser Stelle jedoch kurz erläutert werden: Ausgewertet wurden Textstellen, die sich auf Einstellungen zu potentiellen Veränderungen der Beziehung durch Kontakt via SON beziehen. Die gebildeten Subkategorien sind B1 – Veränderung der Einblicke in das Leben von LehrerInnen und SchülerInnen, B2 – Potentielle Veränderungen der LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung und B3 – Potentielle Erweiterung der Interaktionsmöglichkeiten.
Die Vergleichsdimension für die angewandte Typenbildung ist die Einstellung zur potentiellen Veränderung von SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehungen durch Kontakt auf Facebook und/oder WhatsApp (Kategorie B). Die Fälle Mathilde und Verona wurden aufgrund der Tatsache, dass beide keine oder wenige Erfahrungen mit LehrerInnen auf SON erlebt haben, aus der Typenbildung exkludiert.
Die bestehenden Fälle wurden auf Grund ihrer Einschätzung im Bereich B2 voneinander getrennt, da diese Subkategorie die schärfste Trennung bezüglich einer Unterscheidung in zwei Typen aufwies: Vier der zehn in der Typenbildung miteinbezogenen Personen hatten vorwiegend Aussagen passend zu B2a getroffen, sechs Personen vorwiegend Aussagen passend zu B2b. Eine so starke Polarisierung wies sonst keine (Sub-) Kategorie auf. Typ A umfasst Perspektiven, die das Bild der LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung, die sich rein auf die Schulzeit beschränkt, beinhalten. Die zugehörigen Personen sind Oskar, Nuria, Elfriede und Felix. Typ B umfasst die Einstellung, dass das außerschulische Kennenlernen von SchülerInnen und LehrerInnen deren Beziehung in der Schule verbessern kann. Waldemar, Theodor, Arthur, Marla, Alice und Adele sind VertreterInnen dieser Perspektive. In Bezug auf die Formate, in denen diese Typen mit ihren LehrerInnen kommunizieren, lassen sich keine Unterschiede entdecken. Auch bezüglich der Themen dieser Konversationen lassen sich keine Präferenzen dieser beiden Typen erkennen. Beide Typen umfassen Personen, die sowohl über ausschließlich schulische Themen mit LehrerInnen sprechen (z.B. Theodor, Oskar), als auch Personen, die durchaus private Details ihres Daseins mit ihren LehrerInnen teilen (z.B. Waldemar, Felix). Daraus lässt sich schließen, dass SchülerInnen nicht immer gemäß ihrer Vorstellungen handeln, d.h. auch private Informationen einsehen oder austauschen, auch wenn dies nicht ihrer idealen Beziehung von SchülerIn und LehrerIn entspricht.
In Bezug auf die unterschiedlichen Rollenbilder der beiden Typen lässt sich festhalten, dass Personen des Typs A häufiger autoritäre Rollenbilder annehmen (R1a) und Vertrauenspersonen ablehnen (R2b), Typ B hingegen häufiger LehrerInnen als Vertrauenspersonen ansehen (R2a). Es wird deutlich, dass Personen, die LehrerInnen als distanzierte Autoritäten wahrnehmen, den Kontakt von SchülerInnen und LehrerInnen auf die Schulzeit begrenzt sehen. Personen, die LehrerInnen als verständnisvolle Vertrauenspersonen ansehen, sehen im Kontakt von SchülerInnen und LehrerInnen auf SON eher die Chance der Verbesserung der Beziehung.
Zur Beantwortung der Forschungsfrage 3 In welchem Zusammenhang stehen bereits erlebte Erfahrungen der SchülerInnen und Einstellungen über die Rolle von LehrerInnen mit deren Einstellungen über Beziehungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen? lässt sich auf Grundlage der Typenbildung vermuten, dass erlebte Erfahrungen nicht in Zusammenhang mit den Einstellungen zu Beziehungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen stehen, die Einstellungen über Rollenbilder von LehrerInnen aber durchaus mit deren Einstellungen zur Beziehung zwischen SchülerInnen und LehrerInnen korrespondieren. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die befragten SchülerInnen nicht immer gemäß ihrer Vorstellungen von Beziehungen zwischen SchülerInnen und LehrerInnen auf SON handeln. Dies kann unterschiedliche Gründe haben, wie z.B. dem Grad der Ausprägung, Personenabhängigkeit etc. Weiterhin lässt sich festhalten, dass die Vorstellungen der Rolle, besonders in Bezug auf Autorität und Vertrauen, mit den Einstellungen zu Beziehungen von SchülerInnen und LehrerInnen und deren potentielle Veränderung durch Kontakt auf sozialen Online-Netzwerken zusammenhängen. In welchem Verhältnis diese beiden Faktoren stehen, ist anhand dieses Samplings nicht deutlich geworden.
Die Frage nach den Erfahrungen, die SchülerInnen mit LehrerInnen auf sozialen Online-Netzwerken machen, wurde soweit geklärt, dass die Formate in drei nach der Art und Weise der Verknüpfung (ohne Verknüpfung, mit individueller oder mit kollektiver Verknüpfung) voneinander getrennte Kategorien sortiert werden konnten; die Themen in fünf Kategorien, die je nach Anlass voneinander getrennt sind (Unterricht, Ausflüge, schulische Freizeitangebote, Wohlbefinden und Freizeitbeschäftigung). Die Forschungsfragen zum Themenkomplex Erfahrungen konnten somit im Sinne einer ersten Annäherung beantwortet werden. Offen bleibt jedoch, warum manche SchülerInnen in bestimmten Formaten mit ihren LehrerInnen in Kontakt treten oder warum sie über bestimmte Themen sprechen, über andere jedoch nicht. Es gibt innerhalb der Interviews immer wieder Hinweise auf weitere Faktoren, die eine Rolle spielen, z.B. der Unterschied zwischen aktuellen und ehemaligen LehrerInnen, also Kontakt vor und nach dem Abschluss der Schule. Auch das Präferieren der kollektiven Verknüpfung im Gegensatz zur individuellen Verknüpfung ist ein Phänomen, dessen Ursprünge ungeklärt bleiben. Im Rahmen der diskutierten Formate soll an dieser Stelle auch Bezug auf Alexander Ungers Modell der Stream-Kommunikation genommen werden. Unger unterscheidet das Format eines „Streams“, also einem Fluss an Informationen, die NutzerInnen einsehen können oder auch nicht, von dem gezielten Vernetzen mit Einzelpersonen oder Gruppen. Facebook umfasst als Standarteinstellung den „News Feed“ bzw. die „Timeline“, welche beide im Format des Streams gehalten sind. Private Nachrichten zu versenden ist somit eine andere Kommunikationsform als das Stöbern in den aktuellen Geschehnissen des eigenen Netzwerks (Unger 2014, 44f). Dies ist nur ein Beispiel einer möglichen Unterscheidung von Formaten sozialer Online-Netzwerke. Eine Kategorisierung dieser und eine Verknüpfung dieser Kategorien mit anderen Faktoren erscheinen weiterhin interessant.
Im Bereich der Forschungsfrage rund um Rollenverständnisse von SchülerInnen in Bezug auf die Lehrenden dienen vier Kategorien als mögliche Ansatzpunkte: Autoritätsperson, Vertrauensperson, ExpertIn und Leitbild. Auch der Beantwortung dieser Forschungsfrage konnte sich durch die vorliegende Untersuchung angenähert werden. Weiterhin wäre es dennoch spannend zu erfahren, wie diese Rollenbilder zustande kommen und wo die Toleranzbereiche liegen und welche Rollenbilder absolut abgelehnt werden. Es lässt sich weiterhin erahnen, dass manche SchülerInnen diese möglichen Rollen nicht nur auf sich, sondern auch in Bezug auf ihre MitschülerInnen betrachten. So kann es sein, dass SchülerInnen selbst keine Ansprüche an den Lehrenden als Vertrauensperson heben, allerdings ihren MitschülerInnen diese Möglichkeit offenstehen lassen wollen. Weiterhin unterscheiden viele SchülerInnen zwischen der Lehrkraft als Vertrauensperson im schulischen Kontext und im privaten Kontext. Das Erforschen eines Zustandekommens dieser Haltungen wäre weiterhin interessant.
Die Forschungsfrage der Zusammenhänge von Erfahrungen, Rollenbildern und Einstellungen zu potentiellen Veränderungen der LehrerInnen-SchülerInnen-Beziehung durch SON konnte mithilfe einer Typenbildung ansatzweise geklärt werden. SchülerInnen, die eine Trennung von Privatleben und Schule bevorzugen, halten im Falle der befragten Personen auch eher an einem Rollenbild des distanzierten, autoritären Lehrkörpers fest (Typ A). SchülerInnen, die die Vorstellung haben, dass durch Kontakt auf SON die Beziehung zwischen SchülerInnen und LehrerInnen verbessert werden kann, weisen häufiger ein Bild von Lehrenden als Vertrauenspersonen auf. Dennoch unterscheiden sich diese beiden Typen kaum in Bezug auf die erlebten Erfahrungen in SON mit ihren LehrerInnen. Warum SchülerInnen nicht gemäß ihrer Ideale handeln und was genau sie dazu bewegt, trotz Widersprüchlichkeiten mit ihren LehrerInnen zu kommunizieren oder dies zu vermeiden, bleibt ungeklärt.
Weiterhin bleibt offen, welche weiteren Faktoren im Bereich der SchülerInnen-LehrerInnen-Beziehung und der Nutzung von sozialen Online-Netzwerken eine Rolle spielen. Wie wirkt sich etwa der Kontakt zwischen SchülerInnen und LehrerInnen auf die Notenvergabe und das Lernen aus? Wie verändern sich die Leistungen von SchülerInnen, wenn sie ihre LehrerInnen am Abend vor der Prüfung noch per WhatsApp Fragen stellen können? Welche Rolle spielt generell das Bewältigen des Systems Schule oder mit Individuen des Systems in der Debatte rund um Kontakt von SchülerInnen und LehrerInnen auf sozialen Online-Netzwerken? Fragen wie diese ermöglichen weiterhin viel Forschung rund um diesen Themenkomplex.
Aus den Nachgesprächen mit den SchülerInnen trat hervor, dass vor allem Facebook bei jüngeren Jugendlichen nicht mehr allzu relevant ist. Instagram und Snapchat werden häufig als wichtigere Netzwerke in der Lebenswelt der Jugendlichen erwähnt. Auch diese Netzwerke könnten in Zukunft Gegenstand von Forschung rund um neue Medien in der Schule sein.
Weiterhin ist die Wahrnehmung der Konzerne, die hinter diesen SON stehen, ein weiterer Punkt, der in der medienpädagogischen Debatte zur Sprache kommen sollte. WhatsApp gehört zur Firma Facebook, der Datenschutz beider Netzwerke ist stark umstritten. Inwiefern dies eine Rolle für SchülerInnen und LehrerInnen spielt bzw. spielen sollte, bleibt weiterhin zu diskutieren.
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[1] In dieser Arbeit wird mit der Definition „Social Networking Sites“ von Boyd & Ellison (2007) gearbeitet, die im weitesten Sinne auch die Anwendung WhatsApp umfasst
[2] Der Begriff des Formats meint im Kontext dieses Artikels die kommunikative Gattung der Interaktion, also die Art und Weise, in der SchülerInnen und LehrerInnen über SON in Kontakt stehen.
[3] Um die Identität der befragten SchülerInnen im Zuge der Anonymisierung zu schützen, aber dennoch namentlich über Fälle sprechen zu können, wurde den SchülerInnen jeweils ein Deckname zugeteilt..
[4] Die farbliche Markierung der einzelnen Personen wurde zum einen aufgrund von Quantität (wie häufig Aussagen bzgl. einer bestimmten Kategorie im Material zu finden sind) und zum anderen aufgrund von Qualität (wie ausführlich eine Textpassage bzgl. einer bestimmten Kategorie im Material zu finden ist) getroffen. Zudem wurde die Deutlichkeit der Zuordnung zu einer bestimmten Kategorie miteinbezogen.