Entwicklung einer Wahrnehmungstaxonomie für Lernkontexte unter Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und Öffentlichkeitsgrade
urn:nbn:de:0009-5-46604
Zusammenfassung
Im Zuge der Digitalisierung werden vermehrt Lernsettings geöffnet. Durch eine solche Öffnung bestehen Zugänge zu neuen, weiteren Wissensaustauschpartnern. In einer explorativen Studie haben Steinert et al. (2015) gezeigt, dass Lernende diese neuen Wissensaustauschpartner auch ohne explizite Instruktionen wahrnehmen. Die vorliegende Studie systematisiert die Ansätze dieser Studie und untersucht, ob sich Unterschiede im Grad der Wahrnehmung hinsichtlich kognitiver und sozialer Informationen sowie hinsichtlich der Stärke bzw. Nähe der Verbindung der Austauschpartner zeigen. Hierfür wurde aufbauend auf dem aktuellen Forschungsstand eine Taxonomie zur Wahrnehmung Anderer in formalen Lernkontexten theoretisch hergeleitet und empirisch überprüft.
Stichwörter: e-learning; Wahrnehmung; Öffnung; kollaboratives/kooperatives Lernen; Group Awareness; Netzwerklernen; Computer-Supported Collaborative Learning;
Abstract
Due to digitalization learning settings are increasingly opened. Through such an opening access to new, further knowledge exchange partners is generated. In an exploratory study Steinert et al. (2015) showed that learners perceive these new knowledge exchange partners even without explicit instructions. The present study systematizes the approaches of this study and examines whether there are differences in the perception of cognitive and social awareness information as well as the strength respectively proximity of the exchange partners’ interrelations. Hence, based on the current state of research, an awareness taxonomy for formal learning settings was theoretically derived and empirically tested.
Keywords: e-learning; Awareness; Openness; collaborative/cooperative learning; Group Awareness; Networked Learning; Computer-Supported Collaborative Learning
Im Zuge der Digitalisierung werden vermehrt Social Media Werkzeuge in formalen Lernsettings eingesetzt: vielfach im Rahmen von geschlossenen Lernmanagementsystemen, aber auch ohne jegliche Zugangsbeschränkungen (Steinert, Kern, & Bodemer, 2015; Tacke, 2013). Durch eine solche Öffnung von Lernräumen über die ursprünglichen Adressaten (Lehrender und Lernende) hinaus können neue Anreize zu einem systematischeren, zielgerichteteren und elaborierteren Wissensaustausch entstehen (vgl. u.a. Mock, 2017). Eine Vielzahl an Studien hat die Auswirkungen des sozialen Austausches auf das Lernen mit Medien in formalen Kontexten untersucht (z.B. Kreijns, Kirschner, Jochems, & van Buuren, 2007; Sträfling & Krämer, 2013), wobei jedoch in der Regel nur die klassischen Austauschpartner (zumeist die eigene Lerngruppe) berücksichtigt und die weiteren möglichen Partner zum Wissensaustausch (über Lehrende und Kommilitonen hinaus) ausgeblendet wurden. Durch die (teilweise) Öffnung von Lernszenarien werden jedoch Zugänge zu einer Vielzahl weiterer Austauschpartner in Communities und Netzwerken geschaffen und damit ebenfalls Zugänge zu neuen Wissensressourcen (Steinert & Ehlers, 2010). Damit diese jedoch nutzbar werden und der Austausch erfolgreich gelingt, ist die Wahrnehmung der Austauschpartner sowie kognitiver und sozialer Aspekte über sie wesentliche Voraussetzung. Steinert et al. (2015) haben diesen Zusammenhang in einer explorativen Studie betrachtet. Sie konnten hierbei zeigen, dass Lernende in geöffneten formalen Lernsettings potentielle Austauschpartner wahrnehmen. Zudem fanden sie erste Hinweise darauf, dass positive Zusammenhänge mit Lernmotivation und Kompetenzerwerb bestehen.
Die vorliegende Studie systematisiert die Ansätze dieser Studie und beschäftigt sich darauf aufbauend mit der Frage, ob sich bei der Wahrnehmung der neuen potentiellen Austauschpartner in geöffneten Lernsettings ohne explizite Anleitung Unterschiede im Grad der Wahrnehmung hinsichtlich kognitiver und sozialer Informationen sowie hinsichtlich der Stärke bzw. Nähe der Verbindung der Austauschpartner zeigen. Hierfür wurde aufbauend auf dem aktuellen Forschungsstand eine Taxonomie zur Wahrnehmung Anderer in formalen Lernkontexten theoretisch hergeleitet und empirisch überprüft. Diese Entwicklung wird im Folgenden dargelegt.
Verschiedene Forschungsbereiche haben sich mit der Wahrnehmung Anderer befasst: lange Zeit insbesondere die Sozialpsychologie als diejenige Teildisziplin, die sich traditionell mit den Effekten von Situationen bzw. Situationsmerkmalen beschäftigt (Sparrow & Chatman, 2013). Im Zuge der Digitalisierung haben sich vermehrt auch andere Fachbereiche wie die Kommunikationswissenschaften und interdisziplinäre Forschungsfelder wie Computer-Supported Collaborative Learning (CSCL) mit der Wahrnehmung Anderer und deren Auswirkung auf Lernprozesse und -ergebnisse befasst. Insbesondere die Group Awareness-Forschung im Kontext der CSCL-Forschung beschäftigt sich als interdisziplinäres Forschungsfeld empirisch damit, wie die Wahrnehmung Anderer gefördert und die sich aus der Wahrnehmung ergebenden (neuen) Anreize für den Lernprozess nutzbar gemacht werden können (Bodemer & Dehler 2011). Hier finden sich vielfältige Studien insbesondere zum Einsatz unterschiedlichster digitaler Werkzeuge, um die Wahrnehmung kognitiver und/oder sozialer Informationen über die Anderen zu befördern und so den Lernprozess effizienter zu gestalten, indem z.B. Prozessverluste verringert werden (Buder, 2011; Janssen, Erkens, & Kirschner, 2011; Lin, Szu, & Lai, 2016). Doch bieten diese Studien wenig generalisierbare Aussagen, was insbesondere daran liegt, dass ihnen unterschiedliche Group Awareness-Definitionen zu Grunde liegen. Janssen und Bodemer haben daher 2013 eine umfassende Sichtung vorhandener Studien vorgenommen und auf Basis dessen Definitionen für kognitive und soziale Group Awareness abgeleitet. Diese werden im CSCL-Bereich zunehmend genutzt, so dass perspektivisch eine bessere Vergleichbarkeit zu erwarten ist. Eine weitere Herausforderung hinsichtlich der Generalisierbarkeit der Aussagen der bestehenden CSCL-Forschung besteht darin, dass in den meisten Studien nicht Group Awareness an sich und deren Auswirkungen auf den Lernprozess untersucht werden. Vielmehr werden zumeist Group Awareness und deren Auswirkungen auf den Lernprozess indirekt gemessen, indem zwei Settings verglichen werden, wobei sich diese darin unterscheiden, dass in einem Setting spezifische (zumeist eigens entwickelte) Group Awareness Tools genutzt werden und in dem anderen keine weitere Unterstützung erfolgt. Auf Grund dieser sehr spezifischen Analysesettings lassen sich wenig kontextunabhängige Aussagen zur Wahrnehmung Anderer ableiten.
Vor dem Hintergrund der Öffnung von Lernsettings besteht eine weitere Limitierung hinsichtlich der bestehenden Group Awareness-Forschungsergebnisse: Die meisten Studien fokussieren auf die eigene Lerngruppe und berücksichtigen weitere mögliche Austauschpartner in Communities und Netzwerken nur bedingt. Studien dazu, welche Austauschpartner Lernende in einem offenen Lernsetting überhaupt wahrnehmen (können) fehlen bislang.
Eine Operationalisierung des Group Awareness-Konstrukts könnte diese Limitierungen beheben und generalisierbare Aussagen über die Wahrnehmung Anderer in unterschiedlichen Settings und Gruppen unabhängig von Tools ermöglichen. Ebenfalls können mit Hilfe eines operationalisierten Group Awareness-Konstrukts Auswirkungen auf den Lernprozess empirisch untersucht werden.
Neben den Definitionen von Janssen und Bodemer aus dem Bereich der CSCL-bezogenen Group Awareness-Forschung können insbesondere drei weitere Konzeptionen angrenzender Disziplinen zu einer Operationalisierung der Wahrnehmung Anderer in geöffneten Lernsettings beitragen:
-
die Empfängertypologie von Schmidt (2011) aus den Kommunikationswissenschaften,
-
die Social Awareness Taxonomie von Sheldon (1996) aus der Sozialpsychologie sowie
-
die Differenzierung von „I“- und „We“- Awareness (Tenenberg, Roth & Socha, 2015) aus der Computer Supported Collaborative Work (CSCW) Group Awareness-Forschung.
Im Folgenden werden die vier Bausteine sowie ihre Relevanz für die Wahrnehmungstaxonomie erläutert. Beginnend mit der kommunikationswissenschaftlichen Empfängertypologie von Schmidt.
Schmidt hat mit seiner Empfängertypologie eine Systematisierung geschaffen, um insbesondere Journalisten dabei zu unterstützen, die Empfänger ihrer Artikel im Social Web zu kategorisieren, da es im Social Web schwierig ist, zu erkennen, wen man wahrnehmen kann und von wem man selber wahrgenommen wird. Diese Schwierigkeit ist u.a. der Abwesenheit von artikulierten sozialen Verbindungen geschuldet, so kann z.B. ein Blogger nur durch Trackbacks, Kommentare u.ä. einen Eindruck von der Größe und Zusammensetzung seiner Empfänger erhalten (Viégas, 2006). Verstärkt wird dies durch weitere Charakteristiken online basierter Kommunikation (Informationen sind bleibend, replizierbar, skalierbar und durchsuchbar (Boyd, 2010)). Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen hat Schmidt (2011) eine Systematisierung entwickelt und vier Empfängerkategorien identifiziert: (1) adressierte, (2) intendierte, (3) empirische und (4) potentielle Empfänger.
Adressierte Empfänger sind diejenigen, die in einem Beitrag spezifisch angesprochen werden z.B. ein bestimmter Personenkreis (Gruppe), um Feedback einzuholen. Damit können sie mit den intendierten Empfängern übereinstimmen, können aber auch eine Untergruppe von ihnen darstellen. Intendierte Empfänger sind diejenigen, an die ein Sender grundsätzlich bei einem Beitrag denkt, dass können Freunde, Kollegen oder aber auch Andere, die an einem bestimmten Thema interessiert sind, sein. Diese beiden angedachten Empfängergruppen müssen nicht notwendigerweise mit der dritten, den empirischen Empfängern, übereinstimmen. Empirische Empfänger sind nach Schmidt, diejenigen die einen Beitrag tatsächlich zur Kenntnis nehmen. Dieser Empfängerkreis kann deutlich größer sein als die beiden ersten Empfängergruppen (Kwak, Lee, Park, & Moon, 2010). Von den empirischen Empfängern sind nochmals die potentiellen Empfänger abzugrenzen, diese werden durch die technologische Reichweite eines Mediums bestimmt. Bezieht man hierbei die obengenannten Charakteristika des Internets mit ein, so ist es schwierig zu bestimmen, wer möglicherweise Zugang zu einem Beitrag aktuell oder in der Zukunft haben kann – da dies theoretisch jedes Individuum weltweit mit einem Internetzugang sein kann.
Überträgt man diese Überlegungen auf formale geöffnete Lernkontexte, so ergeben sich folgende Konstellationen: Adressiert wird in der Regel der Lehrende, je nach Aufgabenstellung auch andere Lernende z.B. bei Gruppenarbeiten. Im Lernsetting sind dies zumeist auch zugleich die intendierten Empfänger, so dass diese beiden Gruppen für Lernsettings zusammengefasst werden können. Empirische Empfänger können schon weitaus vielfältiger sein, nämlich alle, die sich für das Thema interessieren und wissen, dass sie in dem Setting Informationen finden können. Potentielle Empfänger sind in einem offenen Lernsetting alle Personen, die einen Internetzugang haben; d. h. in formalen Lernsettings können die vier Empfängergruppen zu dreien zusammengefasst werden.
Die Berücksichtigung unterschiedlicher Empfängergruppen bildet die erste Dimension der Wahrnehmungstaxonomie. Um den Gedanken der Virtualisierung bzw. Öffnung der Lernsettings im Fokus zu behalten, wird im Folgenden jedoch nicht mehr von Empfängern, sondern von Öffentlichkeitsgraden gesprochen. Für die Wahrnehmungstaxonomie ergeben sich demgemäß drei Öffentlichkeitsgrade, wobei der erste Öffentlichkeitsgrad den adressierten und intendierten Empfängern entspricht, der zweite den empirischen und der dritte den potentiellen.
Die zweite Dimension der Wahrnehmungstaxonomie berücksichtigt unterschiedliche Perspektiven innerhalb der einzelnen Öffentlichkeitsgrade. Sie basiert auf dem zweiten und dritten Theoriebaustein: der Social Awareness Taxonomie von Sheldon (1996) sowie den Überlegungen hinsichtlich einer Differenzierung von „I“- und „We“- Awareness (Tenenberg, Roth & Socha, 2015).
Sheldon (1996) hat sich mit sozialem Bewusstsein und sozialer Wahrnehmung, in realweltlichen Kontexten unabhängig von Lernkontexten beschäftigt. Sie definiert Social Awareness im weitgefassten Sinne gemäß Wegner & Giuliano (1982) als mentale Ereignisse, in denen ein Individuum eine mentale Repräsentation entweder von sich selbst oder einer anderen Person formt, sprich kontextbezogen Kenntnis von sich selbst oder einer anderen Person nimmt. Social Awareness vergegenwärtigt damit personenwahrnehmende Informationen, die eine potentielle Relevanz für die eigenen sozialen Ziele haben. Die personenwahrnehmenden Informationen sind hierbei jedoch nicht eindimensional zu betrachten, vielmehr können bzw. müssen sie sogar für ein effektives soziales Miteinander aus unterschiedlichen Perspektiven gewonnen werden. Die Perspektive Anderer einzunehmen, ist damit wesentlich, um die andere Person zu verstehen, um z.B. nachzuvollziehen, wie man von den anderen gesehen wird, wenn man selbst das Bewertungsziel ist (Figurski, 1987). Wie bereits Mead (1934) ausführte, ist die Fähigkeit die Sichtweise Anderer einzunehmen, Voraussetzung dafür, das Selbst so wahrzunehmen wie es Andere tun - was z.B. in kollaborativen Settings dazu beitragen kann, Prozessverluste zu vermeiden.
Sheldon bezieht in ihre Taxonomie daher neben dem Inhalt (offensichtliches Auftreten bzw. verborgene Erfahrungen) zwei grundlegende Dimensionen des sozialen Bewusstseins mit ein:
-
„Tacit Awareness“ (definiert als Perspektive oder Blickwinkel, oder auch: „von wo aus man schaut“) und
-
„Focal Awareness“ (definiert als Objekt oder Ziel der Bewertung, oder auch: „was man betrachtet“).
Wenn man die eigene Perspektive einnimmt (Tacit Awareness), kann man demnach sich selbst und Andere wahrnehmen (Focal Awareness), gleiches gilt, wenn man die Perspektive Anderer einnimmt (Sheldon & Johnson, 1993).
In die Entwicklung der Wahrnehmungstaxonomie fließen die beiden Dimensionen des sozialen Bewusstseins (Tacit und Focal Awareness) mit ein, indem gemäß der:
-
Tacit Awareness die Einschätzung der Wahrnehmung sowohl aus der Selbstperspektive wie auch aus der Perspektive Anderer erfasst wird und
-
Focal Awareness berücksichtigt wird, dass einmal das Selbst und einmal die Anderen Ziel der Beurteilung sind.
Zusammenfassend soll über die Wahrnehmungstaxonomie damit erfasst werden, (a) wie ein Individuum (=Selbst) Andere wahrnimmt und (b) was es glaubt, wie es von Anderen wahrgenommen wird. Letzteres ist nicht nur vor dem oben ausgeführtem relevant, sondern ebenfalls vor dem Hintergrund, dass bereits die subjektive Annahme, dass ein oder mehrere Andere einen beobachten (könnten), die Gedanken, Gefühle und das Handeln, sprich auch Lernen, beeinflussen kann (Allport, 1985).
Die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektivübernahmen findet sich ebenfalls in den Überlegungen von Tenenberg, Roth & Socha (2015) zur Differenzierung von „I-„ und „We“-Awareness. Ihre Überlegungen finden im Kontext der CSCW-Forschung statt und beziehen sich konkret auf die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven bei der Wahrnehmung Anderer in digitalen kooperativen Prozessen. “I-Awareness” bedeutet dabei die Einnahme einer ersten Personen-Perspektive, die die Intentionalität Anderer als Black Box betrachtet und sich nur auf die Handlungen, Kommunikation und Ressourcen, die öffentlich zugänglich sind, konzentriert. Auch wenn hier noch keine geteilte Intentionalität zum Tragen kommt, so beinhaltet I-Awareness im Verständnis von Tenenberg et al. doch bereits die Wahrnehmung unterschiedlicher Perspektiven, in dem Sinne, dass Individuen zur gleichen Zeit wahrnehmen und wahrgenommen werden; sprich, jedes wahrgenommene Individuum kann wahrnehmen von wem es wahrgenommen wird. So kann ein Programmierer A z.B. die Codes des Programmierers B sehen, wobei B bemerkt, dass A seine Codes wahrnimmt. Die I-Awareness adressiert damit einen ähnlichen Aspekt wie die Facette des „öffentlichen Auftretens“ der Inhaltsdimension in der Social Awareness Taxonomie von Sheldon.
Die We-Awareness baut auf der I-Awareness auf, indem sie geteilte Intentionalität und sozial rekursive Inferenz(en) berücksichtigt. So haben z.B. Programmierer A und B das gemeinsame Ziel, den Code zusammen weiterzuentwickeln und stimmen hierfür ihre Handlungen aufeinander ab, teilen Informationen und wissen voneinander, dass sie diese Informationen teilen. Nach Tenenberg et al. sind I-Awareness und We-Awareness damit sich gegenseitig bedingende und konstituierende Konzepte (für eine kritische Reflexion vgl. u.a. Robertson, 2016; Schmidt & Randall, 2016; Stahl, 2016).
Innerhalb der zweiten Dimension der Wahrnehmungstaxonomie „Perspektive“ werden die Ausführungen zur Social Awareness Taxonomie (Berücksichtigung der Perspektive und Ziel der Bewertung) durch die Überlegungen zur I-Awareness ergänzt, indem die öffentlich zugänglichen Handlungen, deren Wahrnehmung sowie Wahrnehmung dessen, dass man selbst wahrgenommen wird, integriert werden. Die We-Awareness hingegen fließt mehr in die konzeptionelle Gesamtüberlegung mit ein, im Sinne dessen, dass geteilte und sozial rekursive Inferenz(en) zwar insbesondere innerhalb des ersten Öffentlichkeitsgrades (Lerngruppe) anzustreben ist, sich für den zweiten und dritten Öffentlichkeitsgrad jedoch nur bedingt realisieren lässt.
Die Wahrnehmungstaxonomie beinhaltet neben dem Öffentlichkeitsgrad und der Perspektive noch eine dritte Dimension: die Informationen, die über die Anderen in den unterschiedlichen Öffentlichkeitsgraden aus den unterschiedlichen Perspektiven wahrgenommen werden können, wobei zwischen kognitiven und sozialen (Group Awareness-) Informationen differenziert wird.
Was genau kognitive und soziale Group Awareness-Informationen sind, haben Janssen und Bodemer (2013) im Rahmen eines Literatur-Reviews herausgearbeitet. Hierfür haben sie vielzählige Group Awareness-Studien analysiert und daraus eine synthetisierte Definition abgeleitet. Grundsätzlich differenzieren sie danach zwischen dem Inhalts- und Beziehungsbereich (Barron, 2003). Diese beiden Bereiche sind nicht als trennscharf zu verstehen, vielmehr überlappen sie sich, interagieren und bestärken sich gegenseitig. So können Koordinierungstätigkeiten im Beziehungsraum die Koordination im Inhaltsraum stärken, z. B. wenn Kooperationspartner ihre Erklärungen und Argumentation auf das Wissen und die Verständnisebene ihres Partners abstimmen und dadurch einen effektive(re)n Austausch von Ideen und Wissenskollaboration ermöglichen. Gleiches gilt umgekehrt für Koordinationstätigkeiten im Inhaltsraum. So konnten Jermann und Dillenbourg (2008) zeigen, dass soziale Informationen wie z.B. wieviel jemand sowohl zu einem Thema wie auch zur Problemlösung beiträgt, ebenfalls zu gesteigerten Diskussionen auf der Metaebene (Inhaltsraum) führten.
Wesentlich für die Tätigkeiten im Inhalts- und Beziehungsraum sind damit kognitive und soziale Group Awareness-Informationen. Janssen und Bodemer definieren kognitive Group Awareness als Bewusstsein, das aus den Informationen über das Wissen der Gruppenmitglieder, deren Informationen oder der Meinungen, die sie vertreten, entsteht, und genutzt werden kann, um Aktivitäten im Inhaltsraum der Kollaboration zu koordinieren. Soziale Group Awareness bezieht sich hingegen auf die Wahrnehmung der Gruppenmitglieder, die durch Informationen über das kooperative Verhalten der anderen Gruppenmitglieder (z.B. Gleichwertigkeit der Beteiligung, Anzahl der Beiträge zur Online-Diskussion) entsteht und die dazu verwendet werden kann, die Aktivitäten im Beziehungsraum zu koordinieren. Das Interaktionsziel im Beziehungsraum ist folglich auf die Errichtung und Aufrechterhaltung gemeinsamen Verständnisses hin ausgerichtet. Ein weiteres Ziel ist, durch die sozialen und kommunikativen Aktivitäten zum Gruppenwohlbefinden und zur Schaffung eines gemeinsamen Referenzrahmens beizutragen. Die Aktivitäten im Beziehungsraum ermöglichen es Lernenden damit, sinnvoll im Inhaltsraum zu interagieren. Beide Awareness-Facetten werden demnach benötigt, um CSCL-Prozesse zu befördern und fließen damit in die Entwicklung der Wahrnehmungstaxonomie mit ein.
Zusammenfassend ergibt sich aus den vier theoretischen Ansätzen folgendes für die Wahrnehmungstaxonomie:
1. Dimension: Öffentlichkeitsgrade
In virtuellen offenen Lernsettings können neben den adressierten und intendierten Empfängern auch empirische und potentielle Empfänger am Lernprozess teilhaben. Die für Lernsettings zu drei zusammengefassten Empfängergruppen referenzieren zugleich auf unterschiedliche Öffnungsgrade des Lernsettings: Der erste Öffentlichkeitsgrad entspricht den adressierten und intendierten Empfängern (z.B. Mitglieder in der Lerngruppe), der zweite den empirischen (z.B. Mitglieder in einer Wiki-Community) und der dritte den potentiellen (z.B. relevante Akteure im Internet).
2. Dimension: Perspektive
In einem effektiven sozialen Austausch werden die personenwahrnehmenden Informationen aus unterschiedlichen Perspektiven (Tacit Awareness) unter Berücksichtigung unterschiedlicher Beurteilungsziele (Focal Awareness) gewonnen. Daher wird zum einen die Wahrnehmung aus der Selbstperspektive sowie aus der Perspektive Anderer erfasst. Analog sind einmal das Selbst und einmal die Anderen Ziel der Beurteilung. Quelle dieser Informationen sind gemäß der Überlegungen zur I-Awareness die öffentlich zugänglichen Handlungen.
3. Dimension: Group Awareness Informationen
Für erfolgreiche (virtuelle) kooperative Lernprozesse sind kognitive wie auch soziale Wahrnehmungsinformationen zu berücksichtigen. Unter kognitiver Group Awareness wird dabei die Wahrnehmung von Informationen über das Wissen der Gruppenmitglieder verstanden, welches genutzt werden kann, um Aktivitäten im Inhaltsraum der Kollaboration zu koordinieren. Soziale Group Awareness bezieht sich hingegen auf die Wahrnehmung von Informationen über das kooperative Verhalten der anderen Gruppenmitglieder (z.B. Anzahl der Beiträge), die dazu verwendet werden kann, die Aktivitäten im Beziehungsraum zu koordinieren.
Insgesamt ergibt sich damit eine 3x2x2 Matrix (vgl. Tab. 1): 3 Öffentlichkeitsgrade x 2 Awareness-Facetten x 2 Perspektiven: Innerhalb der einzelnen Öffentlichkeitsgrade können kognitive und soziale Informationen über die anderen Mitglieder wahrgenommen werden, diese können wiederum sowohl aus der Selbstperspektive wie auch aus der Perspektivübernahme Anderer (Betrachtungsziel jeweils vice versa) gewonnen werden.
Cognitive Group Awareness (cGA) |
Social Group Awareness (sGA) |
|||
Öffentlichkeitsgrad |
Selbst-Perspektive (SP) → Andere als Betrachtungsziel |
Perspektive Anderer (PA) → Selbst als Betrachtungsziel |
Selbst-Perspektive (SP) → Andere als Betrachtungsziel |
Perspektive Anderer (PA) → Selbst als Betrachtungsziel |
1. Öffentlichkeitsgrad, z.B. die eigene Lerngruppe |
(1) Wahrnehmung der cGA der Lerngruppe aus der SP |
(2) Wahrnehmung der cGA des Selbst aus Sicht der Lerngruppe |
(7) Wahrnehmung der sGA der Lerngruppe aus der SP |
(8) Wahrnehmung der sGA des Selbst aus Sicht der Lerngruppe |
2. Öffentlichkeitsgrad, z.B. Wiki-Community |
(3) Wahrnehmung der cGA der Wiki-Community aus der SP |
(4) Wahrnehmung der cGA des Selbst aus Sicht der Wiki-Community |
(9) Wahrnehmung der sGA der Wiki-Community aus der SP |
(10) Wahrnehmung der sGA des Selbst aus Sicht der Wiki-Community |
3. Öffentlichkeitsgrad, z.B. Internet-Community |
(5) Wahrnehmung der cGA der Internet-Community aus der SP |
(6) Wahrnehmung der cGA des Selbst aus Sicht der Internet-Community |
(11) Wahrnehmung der sGA der Internet-Community aus der SP |
(12) Wahrnehmung der sGA des Selbst aus Sicht der Internet-Community |
Tabelle 1 Wahrnehmungstaxonomie für formale Lernsettings
Überträgt man die Wahrnehmungstaxonomie z.B. auf ein geöffnetes kooperatives Lernsetting mit Wiki-Einsatz, so stellt die Lerngruppe die Öffentlichkeit ersten Grades dar, die Wiki-Community die zweiten Grades und die (themenrelevanten Akteure der) Internet-Community die dritten Grades. Auch die weiteren Meta-Dimensionen der Wahrnehmungstaxonomie können auf das Setting angewendet werden. Für Zelle (4) bedeutet dies zum Beispiel, dass ein Lernender (Selbst) wahrnimmt, wie sein Wissensstand (kognitive Group Awareness (cGA)) von den Kommilitonen in der Wiki-Community (Andere 2. Öffentlichkeitsgrades) wahrgenommen wird.
Diese theoretisch hergeleiteten Wahrnehmungsformen der Taxonomie bilden Messdimensionen für eine empirische Überprüfung. Im Folgenden wird näher beschrieben wie die Wahrnehmungstaxonomie überprüft wurde.
Aus den Wahrnehmungsdimensionen der Taxonomie wurden zunächst Items für einen Fragebogen (gemäß Bühner, 2006; Churchill, 1979) abgeleitet. Der Fragebogen wurde dann im Pflichtmodul „Einführung in die Methodenlehre - Statistik I“ getestet.
Die Studierenden (N=50) haben in der zweiten Semesterhälfte in Gruppenarbeit (zwei bis vier Studierende pro Gruppe) über mehrere Wochen verschiedene statistische Themen in einem Wiki bearbeitet, wobei sie frei zwischen den Themen wählen konnten. Sie fassten das jeweilige Thema anhand der in der Vorlesung und Übungsgruppen zur Verfügung gestellten Informationen zusammen und erläuterten es. Hierbei integrierten sie externe Links zur weiterführenden Information. Zudem stellten sie Bezüge zwischen den einzelnen Themen bzw. Beiträgen im Wiki her, um Zusammenhänge zu verdeutlichen. Die im Wiki gesammelten Informationen und Erläuterungen nutzten sie zur Klausurvorbereitung. Im Anschluss an die Erstellung der Wiki-Beiträge wurde jede Versuchsperson vor dem Hintergrund des Settings und der Aufgabenstellung entsprechend der Taxonomie zu ihrer Wahrnehmung befragt.
Mittels der Befragung wurden für jede Versuchsperson eine Vielzahl von Messungen erhoben (Messwiederholungsdesign) (Kreft & de Leeuw, 1998): nämlich zu ihrer Wahrnehmung der eigenen Lerngruppe, der Wiki-Community und der Internet-Community sowie zu ihrer Einschätzung, was sie glauben wie sie von den anderen in diesen drei „Gruppen“ wahrgenommen wurden. In Tabelle 2 sind exemplarisch Items für den Aspekt „Informationen“ der kognitiven Group Awareness für die Dimensionen Öffentlichkeit und Perspektive dargestellt:
Perspektive |
||
Öffentlichkeitsgrade |
Selbst-Perspektive |
Perspektive Anderer |
Lerngruppe (LG) |
(1) Ich habe einen Überblick darüber, wer in der LG Informationen zur Verfügung stellt. |
(2) Die Mitglieder in der LG haben einen Überblick darüber, ob ich Informationen zur Verfügung stelle. |
Wiki-Community (WiC) |
(3) Ich habe einen Überblick darüber, wer in der WiC Informationen zur Verfügung stellt. |
(4) Die Mitglieder in der WiC haben einen Überblick darüber, ob ich Informationen zur Verfügung stelle. |
Internet-Community (IC) |
(5) Ich habe einen Überblick darüber, wer in der IC Informationen zur Verfügung stellt. |
(6) Die Mitglieder in der IC haben einen Überblick darüber, ob ich Informationen zur Verfügung stelle. |
Tabelle 2 Beispiel-Items für die Erfassung von „Informationen“ als Aspekt der kognitiven Group Awareness
Auf Grund dessen, dass die Probanden zu unterschiedlichen Wahrnehmungseinschätzungen aus unterschiedlichen Perspektiven befragt wurden, sind die Daten nicht unabhängig voneinander, sondern vielmehr innerhalb der Probanden „eingebettet“, so dass z.B. eine explorative Faktorenanalyse nicht möglich ist. Wegen der vorliegenden Datenabhängigkeit wurde ein Mehrebenen-Modell zur statistischen Überprüfung gerechnet. Hierbei sind die Individuen die Analyseeinheiten der übergeordneten Ebene (Ebene 2) und die wiederholten Beobachtungen für jedes Individuum Analyseeinheiten der untergeordneten Ebene (Ebene 1) (Nezlek, Schröder-Abé, & Schütz, 2006). Um die Notwendigkeit eines Mehrebenen-Modells zu überprüfen, wurde zunächst die Intra-Klassen-Korrelation (ICC) sowie der Chi-Quadrat-Likelihood Ratio Test berechnet (Cress, 2008; Field, Miles, & Field, 2012; Peugh, 2010).
Hinsichtlich der benötigten Stichprobengröße bestehen keine allgemeingültigen Werte, es finden sich aber verschiedene Hinweise, die sich auf die oberste Ebene beziehen: Kreft und de Leeuw (1998) verweisen darauf, dass in der übergeordneten Variable mehr als 20 Kontexte vorhaben sein sollten; Maas und Hox (2005) zeigten in Simulationsstudien, dass eine zu kleine Stichprobe in der obersten Ebene (weniger als 50) zu verzerrten Schätzungen führt. (Für einen Vergleich und Überblick über Studien im CSCL-Bereich auch mit kleineren Stichprobengrößen vergleiche Cress, 2008). In der vorliegenden Studie beträgt die Stichprobengröße auf der obersten Ebene N=50, so dass der Stichprobenumfang für eine Mehrebenanalyse angemessen erscheint.
In einem ersten Schritt wurde das „Intercept-only-Modell“ (Gleichung 1) aufgestellt, welches den Anteil der Varianz, der durch die Einbettung im Individuum (2. und oberste Ebene) verursacht wird, verdeutlicht: sprich, die Varianz bei der Gesamtwahrnehmung (als Ergebnis) des einzelnen Individuums.
Dieses Modell ermöglicht die Berechnung der ICC (Gleichung 2).
Für das vorliegende Modell ergibt sich eine ICC von .076, also 7.6% der Varianz der Wahrnehmung ereignen sich innerhalb der Individuen. Die ICC ist dabei mit einem p-Wert von < .001 signifikant. Der ICC-Wert steht im Einklang mit der Forschung (Peugh, 2010), die gezeigt hat, dass ICC-Werte zwischen .05 und .20 in der Sozialforschung bei Mehrebenenanalysen üblich sind. Ein ICC-Schätzwert größer Null verweist bereits darauf, dass ein Mehrebenen-Modell berechnet werden sollte, zeigt alleine aber nicht zwangsläufig die Notwendigkeit auf.
In einem zweiten Schritt wurde daher ein Chi-Quadrat-Likelihood Ratio Test berechnet, welcher eine Chi-Quadrat-Verteilung von χ2 (1) = 128.79, p < .001 ergab. Die Achsenabschnitte variieren demnach signifikant zwischen den Individuen (Random-Intercept-Modell), so dass eine Mehrebenenanalyse notwendig ist.
Entsprechend der oben theoretisch hergeleiteten Taxonomie werden die einzelnen Dimensionen sukzessive zum Random-Intercept-Modell hinzugefügt, um zu überprüfen, inwieweit sie zu einer Modellverbesserung beitragen. Da die Wahrnehmungsdimensionen Öffentlichkeit und Perspektive auf der theoretischen Metaebene für kognitive und soziale Group Awareness gleich sind, werden zuerst die Awareness-Facetten als fixe Effekte hinzugefügt, was eine Chi-Quadrat-Verteilung von χ2 (1) = 3.72, p = .054 ergibt. Die Awareness-Facetten als fixe Effekte verfehlen damit knapp die Signifikanz. Vor dem Hintergrund des theoretischen finalen Modells (Taxonomie) werden sie dennoch im Modell behalten, da angenommen wird, dass die Steigungen der Awareness-Facetten zwischen den Individuen variabel (und nicht fix) sind. Die Öffentlichkeitsgrade werden als weiterer fixer Effekt hinzugefügt. Diese tragen signifikant zur Modellverbesserung bei: χ2 (1) = 2818.16, p < .001. Als weiterer fixer Effekt wird die Perspektive hinzugefügt, welche ebenfalls signifikant zur Modellverbesserung beiträgt: χ2 (1) = 7.88, p = .005. Das Modell beinhaltet nun alle Taxonomiebestandteile als fixe Effekte. Da jedoch gemäß der theoretischen Herleitung der Taxonomie angenommen wird, dass die Wahrnehmung der Group Awareness-Informationen sowie der Öffentlichkeitsgrade zwischen den Individuen variieren, werden für diese im nächsten Schritt „Random Slopes“ miteinbezogen (“random coefficient model“). Zunächst werden die Awareness-Facetten als „random“ Bedingung hinzugefügt, was die statistische Güte des Modells weiter verbessert: die Likelihood-Ratio verändert sich signifikant, χ2 (2) = 42.66, p < .001 und das Bayesianische Informationskriterium von Schwarz (BIC) reduziert sich von 6705.4 auf 6678.6. In einem weiteren Schritt werden die Steigungen der Öffentlichkeitsgrade randomisiert, was das Modell nochmals deutlich verbessert - der BIC sinkt weiter von 6678.6 auf 6125.7 und die Likelihood-Ratio verändert sich ebenfalls wieder signifikant, χ2 (4) = 600.29, p < .001. Im letzten Schritt wird eine Interaktion zwischen den Awareness-Facetten und den Öffentlichkeitsgraden eingeführt. Die Interaktion zwischen Wahrnehmungs-Facetten und Öffentlichkeitsgarden reduziert den -2LL um 15.75, was eine signifikante Veränderung ist: p < .001. Die einzelnen Schätzwerte der Interaktionen zeigen jedoch, dass diese im Ergebnis keine bzw. nur eine geringe Relevanz aufweisen. Die Haupteffekte des finalen Modells sind in Tabelle 3 zusammenfassend dargestellt.
Parameter |
b(SE) |
95% CI |
Awareness Sozial - Kognitiv |
-0.1 (0.05) |
-0.21, 0.01 |
Die beiden Awareness-Facetten tragen in etwa gleich (nicht) viel zur Wahrnehmung bei. Die kognitiven Wahrnehmungsinformationen tragen minimal mehr zur Gesamtwahrnehmung in formalen Lernkontexten bei. |
||
Öffentlichkeit Internet - Lerngruppe |
-2.5 (0.12)*** |
-2.76, -2.28 |
Die Wahrnehmung erhöht sich im Mittel durch die Öffentlichkeit ersten Grades um 2.5 im Vergleich zu der Öffentlichkeit dritten Grades. |
||
Öffentlichkeit Internet - Wiki |
-0.4 (0.06)*** |
-0.55, -0.32 |
Die Wahrnehmung erhöht sich im Mittel durch die Öffentlichkeit zweiten Grades um .4 im Vergleich zu der Öffentlichkeit dritten Grades. |
||
Öffentlichkeit Lerngruppe - Wiki |
2.1 (0.12)*** |
1.85, 2.32 |
Die Wahrnehmung erhöht sich im Mittel durch die Öffentlichkeit ersten Grades um 2.1 im Vergleich zu der Öffentlichkeit zweiten Grades. |
||
Perspektive Andere - Selbst |
-0.1 (0.03)*** |
-0.14, -0.04 |
Die Perspektive trägt zwar ebenfalls signifikant zur Wahrnehmung bei, im Ergebnis bestehen jedoch kaum Unterschiede, hinsichtlich dessen, ob es sich um die Selbst-Perspektive oder die Perspektive Anderer handelt |
Notes *** p < .001
Tabelle 3 Zusammengefasste Modell-Parameter.
In Tabelle 4 werden die Modell-Schritte und deren statistische Güte anhand Akaikes Informationskriterium (AIC) und des Bayesianische Informationskriterium von Schwarz (BIC) zusammenfassend dargestellt. Durch die abnehmenden Werte wird deutlich, dass sich das Modell mit jedem der oben beschriebenen Schritte verbessert (AIC) bzw. mit fast jedem (BIC), so dass „Interaction“ das beste Modell zu sein scheint.
Modell |
AIC |
BIC |
Intercept-Only |
9607.7 |
9619.4 |
Random-Intercept (RI) |
9480.9 |
9498.6 |
RI + Awareness (RI_A) |
9479.2 |
9502.8 |
RI_A + Öffentlichkeit (RI_A_Ö) |
6669.9 |
6705.4 |
RI_A_Ö + Perspektive |
6664.1 |
6705.4 |
Random-Slope_Awareness (RS_A) |
6625.5 |
6678.6 |
RS_A + Öffentlichkeit |
6037.2 |
6125.7 |
Interaction |
6025.4 |
6125.7 |
Tabelle 4 Modellschritte und deren statistische Güte
Ergänzend zu der anhand des AIC und BIC ermittelten relativen statistischen Güte wird für die absolute Güte R2 berechnet (Johnson, 2014; Nakagawa & Schielzeth, 2013).
Im oben beschriebenen Mehrebenen-Modell sind sowohl fixe wie auch zufällige Effekte mit einbezogen worden, so dass das marginale und konditionale R2 berechnet wurden. 59% der Varianz werden alleine durch die fixen Effekte erklärt (marginales R2 ). Bereits für das Random Intercept Modell ergibt sich ein konditionales R2 von 68%. Bezieht man die variable Steigung noch mit ein (random slopes) so ergibt sich ein konditionales R2 von 77%. Die Einbeziehung der Interaktionen verändert den R2-Wert hingegen nicht mehr.
Hinsichtlich der Interaktion verweist nur der AIC auf eine Modellverbesserung, weder beim BIC noch beim konditionalen R2 wird eine Modellverbesserung deutlich. Auch die b-Werte verweisen auf eine geringe Relevanz im Ergebnis.
Die Berechnung einer ANOVA bestätigt die Signifikanz der einzelnen Faktoren (vgl. Tab. 5). Interaktionen konnten jedoch nicht gezeigt werden.
F |
p |
partielles η2 |
|
Awareness-Facetten |
(1, 49)=7.77 |
.006 |
.137 |
Perspektive |
(1, 49)=8.18 |
.006 |
.143 |
Öffentlichkeitsgrad |
(2, 98)=335.87 |
<.001 |
.873 |
Tabelle 5 ANOVA Within-Subject Design mit Messwiederholung
Die Einbeziehung der Interaktion scheint keinen deutlichen Mehrwert zu bringen, womit das einfachere Modell (RS_A + Öffentlichkeit) als finales Modell vorgezogen wird (vgl. auch Occam’s Razor). Um den Einfluss der einzelnen Dimensionen näher zu beleuchten, werden ebenfalls die Effektstärken, Cohen’s d sowie dr, berechnet.
Die Berechnung von Cohen’s d erfolgt anhand der Gleichung 3:
Bei dieser Berechnung werden bewusst Informationen über das Design ignoriert, d.h. Between-Subjects-, Within-Subjects- oder Mixed-Designs werden alle gleich berechnet, was den (scheinbaren) Vorteil hat, dass sie „grundsätzlich“ vergleichbar zu sein scheinen (für nähere Ausführungen vgl. Westfall, 2015). Für die vorliegende Studie ergeben sich folgende d-Werte:
Awareness-Facetten |
Perspektive |
Öffentlichkeit (3. und 1. Grad im Vgl.) |
Öffentlichkeit (3. und 2. Grad im Vgl.) |
|
Cohen’s d |
0.07 |
0.06 |
2.76 |
2.29 |
Tabelle 6 Cohen’s d-Werte
Demnach liegen für die Awareness-Facetten und die Perspektive quasi keine Effekte vor, für die Öffentlichkeitsgrade hingegen sehr große. Diese Werte sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da die Berechnung vor dem oben beschriebenen Hintergrund zu Effektverzerrungen führt.
Die Berechnung von dr berücksichtigt die Verzerrungen, die durch Within-Subject-Designs erfolgen können (vgl. Rouder, Morey, Speckman, & Province, 2012). Der Unterschied zwischen den beiden Berechnungen wird im Vergleich der Werte deutlich:
Awareness-Facetten |
Perspektive |
Öffentlichkeit (3. und 1. Grad im Vgl.) |
Öffentlichkeit (3. und 2. Grad im Vgl.) |
|
dr |
0.22 |
0.19 |
5.38 |
0.91 |
Tabelle 7 dr-Werte
Bleibt man bei den Interpretationswerten nach Cohen (1992), so liegen für die Awareness-Facetten und die Perspektive nun kleine Effekte vor, für die Öffentlichkeitsgrade weiterhin große. Allerdings sind auch hier deutliche Veränderungen erkennbar, so hat sich der dr-Wert für die Öffentlichkeit ersten vs. dritten Grades quasi verdoppelt, der für die Öffentlichkeit zweiten vs. dritten Grades hingegen ist auf fast ein Drittel gesunken. Das heißt, berücksichtigt man das Design, so haben die Awareness-Facetten und die Perspektive einen kleinen Effekt und die Unterschiede zwischen den Effekten der einzelnen Öffentlichkeitsgrade werden prägnanter. Der große Einfluss der Öffentlichkeit ersten Grades, der bereits bei der Modellberechnung gezeigt wurde, findet sich hier wieder. Allerdings lassen sich auf Grund der Berücksichtigung des Designs die dr-Werte nicht mit denen anderer Studien vergleichen.
Zusammenfassend zeigt eine empirische Überprüfung der theoretisch hergeleiteten Wahrnehmungstaxonomie, dass alle Dimensionen signifikant zur Wahrnehmung Anderer beitragen und diese zu 77% erklären. Aus der Theorie ließen sich noch keine Schlüsse darauf ziehen, ob einzelne Dimensionen stärker zur Wahrnehmung beitragen. Die empirische Überprüfung gibt erste Hinweise darauf, dass die Öffentlichkeitsgrade den größten Effekt sowie die Group Awareness-Facetten und die Perspektive ungefähr gleich große Effekte hervorrufen. Die Dimensionen scheinen dabei trennscharf zu sein und keine Interaktionen zwischen ihnen zu bestehen. Zudem wurde deutlich, dass, wie aus der Theorie hergeleitet, die Wahrnehmung zwischen Individuen unterschiedlich zu sein scheint.
Aufgrund der kleinen Stichprobe und der bisher geringen Reliabilität sind die Ergebnisse jedoch mit Vorsicht zu interpretieren und hinsichtlich Validität und Reliabilität in weiteren Studien zu überprüfen.
Die vorliegende Studie hat die Ansätze der Experimentalstudie von Steinert et al. systematisiert, indem aus der Theorie verschiedene Ansätze genutzt wurden, um Dimensionen für eine Wahrnehmungstaxonomie herzuleiten, welche gleichzeitig Messdimensionen für eine empirische Überprüfung sind. Im Zuge der empirischen Überprüfung konnte gezeigt werden, dass alle Taxonomiedimensionen signifikant zur Wahrnehmung beitragen. Zudem wurde deutlich, dass bei der Wahrnehmung Anderer in geöffneten Lernsettings ohne explizite Anleitung Unterschiede im Grad der Wahrnehmung hinsichtlich kognitiver und sozialer Informationen sowie hinsichtlich der Nähe der Verbindung (Öffentlichkeitsgrade) bestehen.
Das entwickelte Erhebungsinstrument gilt es, in Folgestudien hinsichtlich Validität und Reliabilität (weiter) zu überprüfen. Mit diesem kann in Folgestudien ebenfalls untersucht werden, ob und wie sich die Wahrnehmung Anderer auf den Lernprozess auswirkt und z.B. zu größeren Lernerfolgen führt. Hierauf aufbauend können die Erkenntnisse in Folgestudien angewendet werden, um z.B. zu untersuchen, welche Group Awareness-Werkzeuge wie eingesetzt werden können, um unterschiedliche Lernziele zu befördern und so die Gestaltung von geöffneten Lernsettings zu optimieren.
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