Der vorliegende Forschungsbericht ist einerseits letzter Ausläufer eines Forschungsprojektes an der Universität Essen (jetzt Universität Duisburg-Essen), das die Videokonferenz aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive betrachtete ( www.uni-essen.de/videokonferenz ) und dabei das Teleteaching als Anwendungsfall fokussierte. Andererseits sind die Feldforschungen insbesondere an der University of Western Sydney Teil der Dissertation des Autors zu kommunikativen Aspekten des Teleteachings.

Zusammenfassung

Australien bietet geographisch beste Voraussetzungen für die internetbasierte (Fern-)Lehre – die Entfernung zwischen westlicher und östlicher Metropole entspricht derjenigen von Madrid nach Moskau und selbst zwischen Melbourne und Sydney liegen knapp zwei Flugstunden; ähnliche Distanzen kennen einzelne Hochschulen auch zwischen ihren Campi. Grund genug also, Kommunikation und Kooperation zwischen und an den etwa 40 Hochschulen Australiens auf technischer Basis zu realisieren, wie nachfolgend am Beispiel des Teleteachings gezeigt werden soll.

Stichwörter: e-learning, Videokonferenz, Teleteaching, Australien

Summary

Australia’s geography calls for distance learning in the truest sense of the word, with distances up to 800 miles between campuses of one university. Therefore, it does not come as a surprise that videoconferencing and teleteaching are more popular compared to Europe. To see how this influences the character of teaching and learning, to learn about the successful implementation and to gather material for research on communicative aspects of teleteaching have been the main objectives of this field study in Australia.

Keywords: e-learning, video conference, teleteaching, Australia

Die Fernlehre in Australien

Eine Besonderheit der australischen Bildungslandschaft ist der außerordentliche Stellenwert der Fernlehre (Distance Education), die dort als eigenständige Lehr- und Lernform ebenso wie als ergänzendes Angebot der Präsenzinstitutionen verbreitet ist – über alle Stufen des Bildungsweges, auch in entlegensten Regionen und das schon seit mehr als 50 Jahren. [2]

Auch im Bereich der Hochschulen hat die Bedeutung der Fernlehre ihre Ursachen natürlich in den eingangs erwähnten geographischen Gegebenheiten des Landes. Die daraus resultierenden Nachteile, die die ländliche Bevölkerung nicht nur in ihrem Bildungsweg erfährt, wurden von der australischen Regierung in den neunziger Jahren als strukturelles bildungspolitisches Problem und potentielle Diskriminierung ausgemacht, so dass im Rahmen eines bundesstaatlichen Förderprogramms ("Networking the Nation") seit 1997 Infrastrukturmaßnahmen besonders im Bereich der Telekommunikation gezielt gefördert werden. Finanziert aus der sukzessiven Privatisierung des ehemals staatlichen Telefonmonopolisten Telstra machen es die aus diesem Programm stammenden Fördergelder für zahlreiche australische Hochschulen attraktiv, auch und gerade den ländlichen Bildungsmarkt anzusprechen. Hier liegt die Ursache einerseits für die häufig anzutreffende Mehrcampusstruktur vieler Hochschulen, andererseits aber auch für den sehr intensiven Einsatz von E-Learning.

Wie sich diese Faktoren konkret in den Strukturen der Hochschulen niederschlagen, soll nachfolgend mit dem Fokus "Videokonferenz" gezeigt werden – beginnend mit den beiden landesweiten Akteuren.

AARNET und AETM

Das Australian Academic Research Network (AARNET) wird von 37 australischen Hochschulen gemeinsam mit einer dem zuständigen Ministerium unterstellten bundesstaatlichen Forschungsorganisation getragenen. Sein Portfolio fasst alle netzbasierten Dienste der australischen Hochschullandschaft zusammen und stellt insofern die Netzwerkinfrastruktur für die Mehrzahl der Videokonferenzanwendungen zwischen den Hochschulen bereit, sehen wir von der nicht geringen Anzahl ländlicher Standorten ab, die noch über ISDN oder Satellit eingebunden werden müssen. [3] Mit Blick auf die Videokonferenz verwaltet AARNET die notwendige Infrastruktur (Gatekeeper, E-164-Adressierung etc.), ist treibende Kraft in der Erforschung neuer Techniken (z.B. Access Grid), organisiert Anlagentests und koordiniert den Austausch der partizipierenden Hochschulen und Forschungseinrichtungen über Newsletter und (Video-)Konferenzen. [4] Darüber hinaus repräsentiert AARNET Australien auf internationaler Ebene: Neben Kommissionen und Gremien gehören hierzu auch Forschungen und Kooperationen.

Die Association of Educational Technology Managers (AETM) ist im Vergleich zu den institutionellen Strukturen von AARNET ein eher informeller Zusammenschluss, der AV-Verantwortliche (fast) aller australischen Hochschulen zusammenbringt und zu deren Kooperation und Kommunikation beiträgt, wobei Erfahrungsaustausch und Diskussionen rund um aktuelle Produkte klar im Mittelpunkt stehen. In diesem Sinne ist AETM ein Expertennetzwerk, das durch persönliche Kontakte und regelmäßige Treffen getragen wird. Die 2001 von Paul Materazzo (La Trobe University) mitgegründete Vereinigung verfügt darüber hinaus über enge Kontakt zu Herstellern in dem für sie relevanten Bereich der audiovisuellen Technik. [5]

In welchem Umfang, auf welche Art und mit welchen Zielsetzungen die Videokonferenz an verschiedenen australischen Hochschulen eingesetzt wird, sollen die nachfolgenden Beispiele zeigen. Die Notwendigkeit der Fernlehre verdeutlicht die folgende Abbildung:


Abbildung 1 - Größenvergleich Australien-Europa [6]

Australian National University, Canberra (ANU)

Die 1946 als forschungsorientierte Hochschule gegründete ANU gehört, wie die University of Sydney (s.u.), zur Group of Eight der führenden australischen Universitäten [7] und ist nicht zuletzt in Folge ihrer Lage in der Hauptstadt und der damit einhergehenden Förderung durch die Regierung eine der renommiertesten Einrichtungen des Landes. Die Videokonferenzaktivitäten begannen Mitte der neunziger Jahre im Zuge einer Kooperation mit der University of Melbourne. Der Umfang dieser Aktivitäten wurde allerdings schnell eingeschränkt durch die für viele Fachbereiche zu teuren ISDN-Verbindungskosten. Dies hat sich erst mit dem Übergang zu IP-basierten Verbindungen Ende der neunziger Jahre geändert. Die ANU ist zudem Knotenpunkt im von der Weltbank getragenen Global Development Learning Network  [8] , das Videokonferenzdienste auch für Externe anbietet und durch die Dependancen der Weltbank sehr gute Verbindungen auch in so genannte Entwicklungsländer gewährleistet. Insgesamt ist die Nutzung an der ANU allerdings inzwischen recht überschaubar (angegeben wurden 5 Stunden täglich).

University of Sydney (USyd)

Die USyd ist mit 18 Standorten in und um Sydney eine Mehrcampushochschule par excellence und es gibt eine intensive Videokonferenznutzung zwischen diesen Dependancen, die angesichts des innerstädtischen Verkehrs in Sydney äußerst erfolgreich ist. Durch die Einbindung zahlreicher Hospitäler in und um Sydney ermöglicht die Hochschule außerdem postgraduierten Medizinern und Medizinerinnen die für ihren weiteren Werdegang notwendige Fortbildung an der USyd trotz beruflicher Verpflichtungen, indem sie Kurse an den jeweiligen Kliniken per Videokonferenz anbietet. Auf diesem Weg werden auch die intensive Forschungszusammenarbeit der Medizin und deren Kontakte zur Industrie im gesamten asiatisch-pazifischen Raum organisiert.

University of Western Sydney (UWS)

Die UWS ist in den westlichen Vororten der australischen Metropole mit insgesamt sechs Campi vertreten, deren Entfernung untereinander bis zu 75 Kilometer beträgt. Die Zusammenführung der verschiedenen Standorte geschieht per Videokonferenz, die für die Übertragung von Vorlesungen und Seminaren sowie für administrative Zwecke genutzt wird. Die Durchführung von Veranstaltungen per Videokonferenz ist für die Lehrenden dann obligatorisch, wenn die Hochschule eine entsprechende Lösung vorschlägt – was sie in erster Linie auf Wunsch der Studierenden und zur Vermeidung von Kosten (Honorare für die alternative Wiederholung der Veranstaltung und damit verbundene Reisespesen) tut. Eine Befragung vor Ort ergab, dass die Veranstaltungen mit großer Routine durchgeführt und technische ebenso wie strukturelle Defizite (Audioqualität, unzureichende Interaktionsoptionen) dabei in Kauf genommen werden. Die Studierenden lehnen die Videokonferenz zwar genau aufgrund dieser Mängel grundsätzlich als eine gegenüber der Präsenzveranstaltung minderwertige Lösung ab, haben aber aufgrund ihrer Kurskombinationen keine andere Wahl, als an einzelnen Kursen per Videokonferenz teilzunehmen.

University of Tasmania, Hobart (UTAS)

Die UTAS residiert im Zuge einer Fusion Anfang der neunziger Jahre in Hobart (Sandy Bay) und Launceston (Newnham), den beiden größten Städten des kleinsten Bundesstaates Australiens. Hinzu kommt heute ein Campus in Burnie (Cradle Coast; vgl. Abb. 1). In Hobart werden aus neun Räumen und vier Vorlesungssälen über ein zentrales Buchungssystem etwa 3.500 Videokonferenzstunden jährlich durchgeführt (2004), davon etwa 2.500 als reine Lehrveranstaltung und 1.000 mit administrativen oder anderen Inhalten. Darüber hinaus etabliert die UTAS derzeit akademische Kontakte nach China, Malaysia und Indonesien, teilweise unter Nutzung der Videokonferenz.

University of New England, Armidale (UNE)

Die UNE ist eine der ältesten Einrichtungen für Fernlehre in Australien, die in diesem Bereich bereits seit Mitte der fünfziger Jahre tätig ist und auch heute noch etwa 12.500 der insgesamt 17.000 Studierenden auf diese Art anspricht. Die UNE bedient traditionell den Bildungsmarkt im nordöstlichen Teil des Bundesstaates New South Wales mit dem zentralen Campus in Armidale und 11 ländlichen Studienzentren, die im Abstand von einigen hundert Kilometern über die Region verteilt sind und teilweise Zugang rund um die Uhr ermöglichen (vgl. Abb. 1). Dort können sich Studierende, die bis heute in erster Linie postalisch mit der Hochschule kommunizieren (Versand von Unterlagen, CD-ROM u.ä.), über breitbandige Leitungen mit Armidale und dem australischen Hochschulnetzwerk verbinden, wenn sie privat nicht über entsprechende Anbindungen verfügen, wie es in ländlichen Gegenden eher Regel als Ausnahme ist.

La Trobe University, Melbourne

La Trobe bedient von ihrem Hauptsitz in Bundoora, einem Vorort von Melbourne, eine Reihe von Campi, die über den gesamten Bundesstaat Viktoria verteilt sind und eine Entfernung von bis zu 1.500 Kilometern trennt. Vier von diesen werden über Videokonferenzdienste eingebunden: Bendigo, Mildura, Beechworth und Mt. Buller (vgl. Abb. 1). Unter den insgesamt 36.000 Studierenden profitieren insbesondere jene von den Mitte der neunziger Jahre eingeführten Videokonferenzdiensten, die an den entlegenen Standorten studieren: Deren Angebot konnte durch die Anbindung an Melbourne inhaltlich deutlich ausgebaut werden. Die Lehrveranstaltungen sind zur Hälfte Mehrpunktkonferenzen und haben während des Semesters einen Umfang von etwa 7 Stunden pro Tag; durchschnittlich werden so täglich 2.000 Kilometer überbrückt.

Technical and Further Education South Australia (TAFE SA) [9]

Neben den Universitäten tragen insbesondere die Einrichtungen von TAFE zur Aus- und Weiterbildung in Australien bei. Sie bieten nachträgliche Schulabschlüsse ebenso an wie Berufsausbildungen und Weiterbildungskurse. Dabei bedienen sie auch und insbesondere den ländlichen Raum (im Gegensatz zu den Metropolen oftmals als einziger Anbieter), für dessen Einbindung große Distanzen zu überwinden sind: Der Bundesstaat South Australia etwa hat die doppelte Größe Frankreichs, verfügt aber lediglich über 1,5 Mio. Einwohner und Einwohnerinnen, von denen mehr als eine Million im Großraum Adelaide beheimatet ist (vgl. Abb. 1; die Standorte verteilen sich über den gesamten Bundesstaat South Australia). Um die Aus- und Weiterbildung auch in der Vielzahl verbleibender ländlicher Regionen zu gewährleisten, wo Kurse oftmals nur 2 oder 3 Anmeldungen erfahren (und daher im Normalfall nicht zustande kämen), wird seit Beginn der neunziger Jahre die Videokonferenz in großem Maßstab eingesetzt. Etwa 50 Studienzentren und 25 weitere Standorte sorgen für eine Nutzung von rund 20.000 (!) Stunden im Jahr, wobei an der Mehrzahl dieser Videokonferenzen vier bis sechs Standorte beteiligt sind. Treibende Kraft sind hier die ländlichen Regionen ebenso wie die auf deren Gleichberechtigung hinarbeitende Regierung des Bundesstaates.

Perspektiven

Die australischen Hochschulen haben sich in Folge der Liberalisierung des Bildungsmarktes seit Ende der neunziger Jahre zu dezidierten und unabhängig handelnden Bildungsanbietern entwickelt, die um Studierende und deren Gebühren konkurrieren – auch und gerade in ländlichen Regionen. Diese Zielgruppe anzusprechen bedarf es einerseits einer entsprechenden Präsenz vor Ort, etwa durch ländliche Campi oder Studienzentren, andererseits aber eines inhaltlichen Portfolios, das demjenigen an Hochschulen größerer Städte entspricht. Dies aber verlangt zwingend den Einsatz der Videokonferenz, um Lehrangebote aus der Stadt aufs Land zu bringen. Diese Aktivitäten der größeren Hochschulen haben umgekehrt zur Folge, dass in Sydney, wo ohnehin schon etwa ein halbes Dutzend Universitäten präsent sind, nun auch die ländlichen Hochschulen um Studierende buhlen, etwa die sechs Autostunden entfernte UNE, die den Verlust ländlicher Studierender zu kompensieren sucht und sich als Fernlehrhochschule zu profilieren sucht. In dieser Konstellation wird die Videokonferenz zukünftig sicherlich noch stärker zum Einsatz kommen.

Ein weiterer relevanter Aspekt sind die an fast allen besuchten Hochschulen zu beobachtenden Ambitionen auf dem asiatischen Bildungsmarkt: Eine Vielzahl von Universitäten kooperiert mit Partnern vornehmlich in Singapur, Malaysia, Indonesien und China, um einzelne Kurse oder Studiengänge vor Ort zu vermarkten und asiatische Studierende gegen Gebühr am Lehrangebot teilhaben zu lassen.

Eine besondere Rolle spielen auch in Zukunft die Förderprogramme der Regierung(en): Die damit verbundenen Gelder zu erhalten, richten viele Universitäten ihre Inhalte und Strukturen durchaus auch kurzfristig (neu) aus. So hat etwa der Mangel an medizinischem Personal in Australien und die daraus resultierende Förderung der Aus- und Weiterbildung von Krankenschwestern (die in Australien an den Hochschulen durchgeführt wird) zu einem Wettbewerb der Hochschulen um die Einrichtung entsprechender Lehrangebote geführt. Deren Umsetzung wird ebenfalls den Einsatz der Videokonferenz fördern, da die Studierenden eben auch in den Krankenhäusern ländlicher Regionen zu finden sind und von dort aus entsprechende Angebote wahrnehmen wollen.

Schließlich ist auch davon auszugehen, dass in Australien der Umstieg auf breitbandige Internetverbindungen im privaten Bereich, wie er in Deutschland seit einigen Jahren zu beobachten ist, erst am Anfang steht. Die daraus resultierende Option der Studierenden, große Teile ihres Studiums vom Campus in ihr Heim zu verlagern, besitzt angesichts der geschilderten Studienbedingungen großes Potential und wird in den nächsten Jahren neue E-Learning-Szenarien fördern. In diesem Umfeld wird das Streaming (also die internetbasierte Übertragung aufgezeichneter Veranstaltungen auf Abruf; Video on Demand) der Videokonferenz möglicherweise den Rang ablaufen, da es bei eingeschränkter Interaktivität eine größere zeitliche Flexibilität bietet.

Literatur

(1) Latchem, C.: See What I Mean? Where Compressed Digital Videoconferencing Works. In: Lockwood, Fred (ed.): Open and Distance Learning Today. London, New York, Routledge.1995, pp. 98-107.

(2) Roberts, Judith M.: Compressed Video Learning. Creating Active Learners. Montréal / Toronto: Chenelière/McGraw-Hill, 1998



[1] Die Arbeiten wurden ermöglicht durch ein Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD, Nr. D/05/08261) und im Oktober und November 2005 durchgeführt. Für die ebenso umfangreiche wie freundliche Unterstützung vor Ort danke ich Hans J. Schäfer (H.323 and proud of it).

[2] Das wohl bekannteste Beispiel im Schulbereich ist die Alice Springs School of the Air, die Schülerinnen und Schüler im Outback per Funk einbindet; vgl. http://www.assoa.nt.edu.au/history.html .

[3] Vgl. http://www.aarnet.edu.au/.

[6] Für die Karte vielen Dank an Christoph “D-I-D-E-E” Driessen. Die kartographisch unvollständige Abbildung zeigt lediglich die im Text erwähnten Orte. Rechtecke stehen für die Hochschulstandorte Armidale, Melbourne und Hobart, runde Punkte in der jeweils selben Farbe für deren Außenstellen.

[9] Vgl. hierzu auch Latchem 1995 (1) und Roberts 1998 (2).