1. Einleitung

Mit E-Learning-Systemen werden Informationssysteme (2)(17)(32) entwickelt, die der Unterstützung von Lernprozessen dienen sollen. Die Unterstützung kommt darin zum Ausdruck, dass durch den Einsatz der Informationssysteme eine positive Wirkung auf die Effektivität und Effizienz der Lernprozesse angestrebt wird (1)(22)(36). Unter dem Aspekt der Effektivität wird betrachtet, in welchem Ausmaß ein Lernziel erreicht wird (z. B. Kompetenz und Performanz). Die Effizienz thematisiert demgegenüber, welcher Faktoreinsatz zur Erreichung der Zielsetzung notwendig ist (z. B. Kosten und Zeit).

Zur Realisierung der Potenziale des E-Learnings ist eine relativ große Anzahl an Informationssystemen verfügbar. Das Spektrum kann in Learning-Management- und Learning-Content-Systeme unterteilt werden. Während Learning-Management-Systeme (LMS) primär der Administration von Lernprozessen dienen, repräsentieren Learning-Content-Systeme (LCS) Lerninhalte und zielen auf die unmittelbare Unterstützung des Kompetenzaufbaus beim Lerner. Um Lernprozesse einer spezifischen Anwendung angemessen zu unterstützen, sind solche E-Learning-Systeme auszuwählen, die sich für den jeweiligen Anwendungsfall möglichst gut eignen. Hierfür ist zu untersuchen, welches System die spezifischen Ziele der Anwendung (z. B. Zielgruppe und Lernziel) unter Berücksichtigung der herrschenden Restriktionen (z. B. Finanzen und Technik) bestmöglich - im Hinblick auf Effektivität und Effizienz - erfüllt.

Die Notwendigkeit, E-Learning-Systeme auf einen spezifischen Anwendungsfall hin zu gestalten, begründet nicht zugleich die Notwendigkeit, E-Learning-Systeme auch gänzlich andersartig zu gestalten. Vielmehr herrschen auch in unterschiedlichen Anwendungskontexten zu einem hohen Anteil ähnliche Anforderungen, die essenzielle Fragen der Wissensvermittlung durch Informationssysteme betreffen. Vor allem Erkenntnisse aus dem Bereich der Lernpsychologie und der Systementwicklung legen es nahe, generelle Anforderungen an E-Learning-Systeme zu erarbeiten. Auch die durch die Wiederverwendung von Systemen in unterschiedlichen Anwendungskontexten möglichen Wirtschaftlichkeitspotenziale unterstreichen die Bedeutung derartiger Standards.

Um sowohl den spezifischen Anwendungsfall, als auch die generellen Qualitätsanforderungen zu berücksichtigen, können Referenzmodelle (11)(2)(6)(7) helfen. Unter Referenzmodellen werden allgemein Modelle verstanden, die bei der Konstruktion anderer Modelle wieder zu verwenden sind (11)(7). Durch die planmäßige Entwicklung von Referenzmodellen im E-Learning ist es möglich, generelle Systemanforderungen auf abstraktem Niveau zu behandeln und zugleich Anpassungsmöglichkeiten der Konstruktion an spezifische Anforderungen zu bieten. Auf abstraktem Niveau werden hierzu Informationsmodelle entworfen, die durch Verwendung besonderer Konstruktionstechniken auf verschiedene Anwendungskontexte übertragen und dort konkretisiert werden können (12).

Um die Wirtschaftlichkeit der Konstruktion von und mit Referenzmodellen zu fördern, sind Referenzmodelle als Lösungen für spezifische Fragen der Systementwicklung zu konstruieren (7). Die Modelle zielen nicht darauf ab, Informationssysteme in ihrer funktionalen Breite zu erfassen, sondern vielmehr einen spezifischen Aspekt der Konstruktion zu beleuchten. Für diesen Aspekt bietet das Referenzmodell Lösungen, die in einer Vielzahl - auch sehr unterschiedlicher - Systementwicklungen wieder verwendet werden können. Insbesondere in Entwicklungsvorhaben, in denen das Funktionsspektrum wenig standardisiert ist, erweist sich ein derartiges Modellierungsprinzip als hilfreich.

Vorliegende Referenzmodelle für E-Learning-Systeme (4)(37)(3)(5)(38)(15)(14) konzentrieren sich hauptsächlich auf die Entwicklung von Ordnungsrahmen, mit denen relevante Funktionsbereiche differenziert werden (z. B. Teilnehmer- und Kursverwaltung) und sind somit als Gesamtsysteme zu klassifizieren. Referenzmodelle, aus denen detailliertere Informationen über die Realisierung des Funktionsumfangs abgeleitet werden können, behandeln vornehmlich LMS und beschränken sich damit auf administrative Prozesse. In diesen Modellen können Vorarbeiten auf dem Gebiet der Entwicklung von Enterprise Ressource Planning-Systemen genutzt werden (8)(32). Die für die Gestaltung von E-Learning-Systemen spezifischen Probleme der Unterstützung von Prozessen des Kompetenzaufbaus werden damit jedoch nicht behandelt.

Ein spezifisches Problem bei der Entwicklung von LCS besteht darin, den unterschiedlichen Präferenzen der Nutzer angemessen zu entsprechen. Zur Lösung dieses spezifischen Problems wird im Folgenden das Konzept des Multi-Channel-Learnings vorgestellt und als Referenzmodell beschrieben.

2. Einführung des Multi-Channel-Learnings

2.1 Konzeption

Bei der Entwicklung von LCS ist eine Vielzahl unterschiedlicher Anforderungen zu erfüllen (10)(34)(35). Zwar können durch Planungsprozesse Typen ähnlicher Lernpräferenzen gebildet werden, doch ist zu berücksichtigen, dass letztlich nicht einmal für eine einzelne Person konstante Kontextfaktoren und Präferenzen vorliegen. Kontextfaktoren sind z. B. die familiäre und berufliche Belastung. Einfluss auf die Präferenzen haben nicht nur der Lernertyp, sondern auch situative Faktoren, wie nicht zuletzt die Tagesform. Da die Anforderungen an die adäquate Unterstützung von Lernprozessen also extrem variieren, ist es problematisch, Lernprozesse in ihrer zeitlichen und sachlogischen Abfolge antizipieren zu wollen. Auch der Versuch, typische Lernprozesse auf Basis analysierter Nutzerpräferenzen auszuwählen, trifft die situativen Bedarfe eines Lernenden letztlich nur selten.

Eine Lösung des Problems ist darin zu sehen, bei der Aufbereitung der Lerninhalte im LCS einer Mehrkanalstrategie zu folgen. Mehrkanalstrategien werden bislang vor allem bei der Gestaltung von Distributionsprozessen thematisiert (9)(23)(29)(44)(42)(33)(19). Dort wird angestrebt, Kunden ein breites Spektrum an Interaktionskanälen mit dem Unternehmen zu bieten, aus dem entlang des Transaktionsprozesses ein vom Kunden situativ präferierter Kanal gewählt werden kann. Durch das Konzept des Multi-Channel-Learnings kann das Potenzial derartiger Strategien (18) im E-Learning genutzt werden. Das MCL-Referenzmodell beschreibt hierzu, welche Voraussetzungen LCS zu erfüllen haben, damit es möglich wird, Mehrkanalstrategien im E-Learning zu implementieren. Die Grundvoraussetzung besteht darin, Möglichkeiten zu schaffen, Lerninhalte in alternativen Lernkanälen aufzubereiten, zwischen denen die Lerner während der Nutzung entsprechend ihres situativen Bedarfs frei wählen können. Dieses Konzept ist in Abb. 1 schematisch veranschaulicht worden.


Abbildung 1 - Multi-Channel-Matrix im E-Learning

Die in Abb. 1 dargestellte Matrix zeigt das durch Multi-Channel-Learning eröffnete Spektrum an E-Learning-Prozessen. Vordergründig sind Lernprozesse zu gestalten, die jeder Lerner entsprechend situativer Präferenzen in unterschiedlichen Lernkanälen ausübt. Jeder Lernkanal adressiert hierzu eine für die Zielgruppe des E-Learning-Systems präferierte Zugangsform zum Wissensgebiet. Durch die Möglichkeit zum Wechsel zwischen den Lernkanälen realisieren Lerner individuelle Learning-Sessions, die im Zeitablauf ihren persönlichen Lernpfad ergeben. Für die organisatorische Prozessgestaltung sind unterschiedliche Rollen im E-Learning zu berücksichtigen. Neben dem Lerner arbeiten auch vor allem Lehrer und Autoren mit dem LCS. In gleicher Weise nutzen auch sie die Flexibilität des Systems für Teaching- und Authoring-Sessions entsprechend ihrer situativen Präferenzen und Möglichkeiten.

Im MCL-Referenzmodell werden die für das Multi-Channel-Learning erforderlichen Systemeigenschaften von LCS anhand von Informationsmodellen beschrieben. Im Folgenden werden Modelle zu den wesentlichen Daten- und Prozessstrukturen vorgestellt.

2.2 Datenstrukturen

Die Grundlage des MCL-Referenzmodells bildet die Organisation der Lerninhalte in alternativen Lernkanälen. Die dazu benötigten Datenstrukturen sind in Abb. 2 anhand eines Entity-Relationship-Modells (13) veranschaulicht worden.


Abbildung 2 - Datenstruktur für das Multi-Channel-Learning in E-Learning-Systemen

Das Modell zeigt eine Datenstruktur zur Aufbereitung von Themen in unterschiedlichen mediendidaktischen Repräsentationsformen. Gegenüber einer eher technikgetriebenen multimedialen Aufbereitung werden mit Lernkanälen didaktisch motivierte Zusammenstellungen von Repräsentationsformen für spezifische Lernziele und -kontexte vorgenommen. Der Kontext wird neben der persönlichen Lernpräferenz auch durch die Situation beeinflusst, in der der Lernprozess auszuführen ist. Beispiele für unterschiedliche Lernkanäle sind ein textbasiertes Selbststudium oder eine in Gruppen zu bearbeitende Fallstudie.

2.3 Prozessstrukturen

Indem in einem System Themen in alternativen Lernkanälen aufbereitet werden, können flexible Nutzungsprozesse realisiert werden. Das Strukturprinzip dieser Prozesse ist in Abb. 3 anhand einer Ereignisgesteuerten Prozesskette (26) veranschaulicht worden. Die Abbildung liefert zugleich ein Beispiel zur Konkretisierung des Referenzmodells, indem die Auswahl des Lernkanals "Forum" für die Nachbereitung einer Lehrveranstaltung beschrieben wird.


Abbildung 3 - Prozessstruktur für das Multi-Channel-Learning in E-Learning-Systemen

In multikanalbasierten Prozessen können Nutzer zu jeder Zeit frei wählen, über welchen Kanal sie sich mit den Lerninhalten befassen. Sofern es gelingt, eine für die Präferenzen der Zielgruppe repräsentative Auswahl an Kanälen zu bieten, sind günstige Voraussetzungen für die bedarfsgerechte Entfaltung einzelner Akteure im Lernprozess gegeben.

Erfahrungen mit der Anwendung des Referenzmodells für das Multi-Channel-Learning liegen bislang hauptsächlich in der Hochschullehre auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften vor. Weitere Anwendungen wurden in der Geschichtswissenschaft und Rechtswissenschaft sowie an Schulen, Akademien und der betrieblichen Weiterbildung realisiert. In den bisherigen Projekten wurden sowohl Anwendungssysteme als auch Organisationssysteme nach dem hier vorgestellten Modell entwickelt, die im Folgenden exemplarisch vorgestellt werden.

3. Anwendung des Multi-Channel-Learnings

3.1 Anwendungssysteme

Das MCL-Referenzmodell ist auf den E-Learning-Plattformen Freestyle Learning (45) und OpenUSS (46) umgesetzt worden. Dabei handelt es sich um Open Source-Plattformen der CampusSource-Initiative (43), die gemeinsam ein integriertes Gesamtsystem für Lernprozesse liefern. Das Gesamtsystem ist bei SourceFourge (47) gehostet und wird weltweit eingesetzt. Während mit Freestyle Learning Lernkanäle für die Wissensrepräsentation geschaffen werden, liefert OpenUSS Lernkanäle für die Kommunikation im Web.

Auf Basis der Plattformen Freestyle Learning und OpenUSS sind in den bisherigen Anwendungskontexten spezifische On- und Offlinekanäle entwickelt worden (21). Diese Kanäle liefern Konkretisierungen der Datenstrukturen des Referenzmodells, die in praktischen Projekten erprobt werden konnten. Abb. 4 zeigt die entsprechende Konkretisierung des Referenzmodells.


Abbildung 4 - Ableitung von On- und Offlinekanälen aus dem Referenzmodell für Multi-Channel-Learning

Offlinekanäle dienen der individuellen Wissenserschließung und bieten ein hohes Maß an Interaktions- und Personalisierungsmöglichkeiten. Diese Kanäle können auf der E-Learning-Plattform Freestyle Learning gestaltet und genutzt werden. Die Plattform bietet auch die Möglichkeit, Lernkanäle als Softwarekomponenten zu entwickeln und auszutauschen. Folgende Kanäle liefern Beispiele, die sich in den Wirtschaftswissenschaften bewährt haben:

  • Mit einem Intro kann dem Lerner eine audiovisuelle Einführung in das Thema geboten werden. Hierzu stellt sich z. B. der Autor in einem Video vor und sensibilisiert die Lerner für die praktische Bedeutung des Lernstoffs.
  • Anhand einer Text Study kann eine detaillierte textbasierte Darstellung der Lerninhalte angeboten werden. Hier empfiehlt sich eine Realisierung als Hypertext, in dem sowohl zu anderen Begriffen der Text Study als auch an referenzierte Stellen derselben sowie anderer Lerneinheiten navigiert werden kann.
  • Die Slideshow bietet eine Präsentation der Lerninhalte im Stil einer multimedialen Vorlesung. Sie adressiert den audiovisuellen Lernkanal und kann vom Lernenden im Selbststudium interaktiv gesteuert werden.
  • Der Kanal Learning by Doing dient der experimentellen und spielerischen Anwendung des Wissens und ermöglicht somit handelndes Lernen (39)(40). So können z. B. in interaktiven Berechnungsexperimenten Zusammenhänge zwischen Input- und Outputgrößen erforscht werden.
  • Mit Case Studies soll eine praxisorientierte Anwendung des Lernstoffs geschult werden. Hierzu können lernzielorientierte Problemstellungen in einer motivierenden Fragestellung dargestellt werden und mit Best-Practice-Beispielen gelöst werden.
  • Anhand von Check-ups ist eine automatisierte Wissenskontrolle durch standardisierte Abfragemethoden möglich. Hier kann Faktenwissen unter Mitwirkung eines Avatars trainiert werden. Alternative Abfragemethoden sind unter didaktischen Gesichtspunkten auszugestalten.

Onlinekanäle zielen auf die Realisierung von Transfer- und Diskursprozessen der Lerner untereinander sowie der Lerner gegenüber Lehrern, Autoren und anderen Fachexperten. Diese Kanäle sind auf der Plattform OpenUSS realisiert worden. Bewährte Kanäle werden im Folgenden vorgestellt:

  • Durch Nutzung von Diskussionsforen können Akteure als Lerner, Lehrer und Autoren zeitlich asynchron miteinander kommunizieren. Sie veröffentlichen Artikel mit Fragen, Antworten, Meinungen und Kommentaren.
  • Über Archive können zusätzliche Lernmaterialien ausgetauscht werden, die entweder von einem Dozenten oder von den Lernern selbst eingestellt werden.
  • Zur räumlich verteilten und zeitlich synchronen Kommunikation dient der Chat-Kanal. Nutzer erhalten einen persönlichen Zugang mit Namen und Kennwort, um z. B. Onlinekolloquien durchzuführen.
  • Durch Nutzung von Linklists können thematische Navigationshilfen geboten werden, um eine didaktisch sinnvolle Auswertung von Internetquellen zu ermöglichen (22).
  • Über einen Newsletter erhält die Lerncommunity persönliche Nachrichten des Dozenten oder Kursmanagers. Neben Hinweisen auf Neuigkeiten in Material- und Linksites können z. B. auch Einladungen zu Treffen im Chat ausgesprochen werden.

Zur Auswahl der Perspektiven sind auf der Plattform Freestyle Learning Navigationsmöglichkeiten nach dem im Referenzmodell beschriebenen Prinzip flexibler Lernprozesse umgesetzt worden. Abb. 5 veranschaulicht die Umsetzung am Beispiel der Benutzeroberfläche der Plattform.


Abbildung 5 - Ableitung von Elementen der Benutzeroberfläche bei FSL 3.0 aus dem Referenzmodell für Multi-Channel-Learning

Während einer Arbeitssitzung kann an jeder Stelle des individuellen Lernpfads ad hoc zwischen den Kanälen gewechselt werden. Der Einstieg in die Kanäle erfolgt direkt an die thematisch korrespondierende Stelle. Zur Orientierung hat es sich bewährt, eine über sämtliche Perspektiven hinweg abgestimmte thematische Struktur einer Lerneinheit vorzusehen.

Diese durch den Autor vorgegebene Aufbereitung von Lerneinheiten in alternativen Lernkanälen kann von sämtlichen Akteuren durch persönliche Beiträge modifiziert werden. Nicht nur der Autor, sondern auch Lehrer und Lerner können dabei auch Verlinkungen auf die im persönlichen Arbeitsumfeld relevanten Quellen vornehmen. Über die Flexibilität bei der Ausführung des Lernprozesses hinaus kann sich somit jeder Akteur ein individuelles Netzwerk an Wissensquellen zusammenstellen und in die persönliche Arbeitsumgebung integrieren.

3.2 Organisationssysteme

Lernplattformen nach dem Mehrkanalprinzip ermöglichen die Einrichtung innovativer Organisationsformen im E-Learning. Praktische Erfahrungen liegen hier mit dem Projekt Wissensnetzwerk Controlling vor (48). Das Wissensnetzwerk Controlling ist ein vom BMBF gefördertes Projekt [Förderkennzeichen: 08NM065], in dem sich Fachexperten des betriebswirtschaftlichen Gebiets Controlling zur Schaffung neuer Lernformen zusammengeschlossen haben (21). Beteiligt sind die Hochschulstandorte Düsseldorf, Ilmenau, Kaiserslautern, Leipzig, Münster, Oldenburg, Rostock und Stuttgart. Im Folgenden wird gezeigt, wie die speziellen Anforderungen an die Einrichtung des Netzwerks in dem Projekt durch die vorgestellten LCS nach dem MCL-Referenzmodell erfüllt werden konnten.

Als Netzwerk wird eine Organisationsform bezeichnet, in der sich eigenständige Akteure für gemeinsame Zielsetzungen zusammenschließen (24)(27)(41). Sie gehen hierzu lose gekoppelte Beziehungen ein, die es erlauben, trotz des Zusammenschlusses ihre Eigenständigkeit zu bewahren - nicht zuletzt, um Beteiligungen an weiteren Netzwerken eingehen zu können. Die Vorteile der Netzwerkorganisation liegen in der Chance, die Flexibilität und Stabilität eines organisatorischen Zusammenschlusses ausgewogen zu gestalten.

Mit der Konzeption von Wissensnetzwerken (3)(37) wird die Organisationsform des Netzwerks genutzt, um Interessenten eines Wissensgebiets effiziente fachliche Abstimmungsmöglichkeiten zu bieten. Als Grundlage dient eine informationstechnische Infrastruktur, die räumlich verteilte und zeitlich asynchrone Diskurs- sowie Transferprozesse erlaubt. An diese Infrastrukturen zur Unterstützung derart lose gekoppelter Lehr- und Lerngemeinschaften (36)(28)(16) sind vor allem zwei Anforderungen zu stellen:

  • Kooperativer Wissenszugang: Benötigt werden Dienste, mit denen sich Akteure untereinander effizient zu einem Themengebiet abstimmen können. Als Mindestanforderungen hierzu sind räumlich verteilte und zeitlich asynchrone Kommunikationsmöglichkeiten zu spezifischen Themen zu bieten.
  • Individueller Wissenszugang: Der Zugang zu den Wissensgebieten hat die individuelle Präferenzstruktur einzelner Akteure zu berücksichtigen. Bei der Darstellung der Lerneinheiten sind hierzu unterschiedliche Präferenzen der Netzwerkpartner zu beachten. Schließlich sind auch Möglichkeiten zur Vernetzung und Personalisierung dieser Einheiten zu bieten.

Im Projekt Wissensnetzwerk Controlling wurden die beschriebenen Anforderungen durch Nutzung der Mehrkanalfunktionalität der Plattform Freestyle Learning erfüllt (21). Das dabei zugrunde gelegte Konzept ist in Abb. 6 veranschaulicht worden.


Abbildung 6 - Netzwerkinfrastruktur durch Multi-Channel-Learning im Wissensnetzwerk Controlling

Zur Realisierung des Wissensnetzwerks werden die Plattformen Freestyle Learning und OpenUSS in einem integrierten System zusammengeschlossen. Die individuelle Arbeit der Lerner, Lehrer und Autoren erfolgt lokal am Arbeitsplatz jedes Akteurs. Er installiert hierzu das Teilsystem Freestyle Learning, über das er entsprechend seiner persönlichen Präferenz auf die Lerneinheiten des Netzwerks zugreift. Für die kooperative Arbeit dient das Teilsystem OpenUSS, mit dem die Onlinekanäle für die Kommunikation zwischen den Akteuren realisiert worden sind.

Die beschriebenen Anwendungen liefern eine Grundlage zur Analyse des mit dem MCL-Referenzmodell verbundenen Nutzens. Ausgewählte Aspekte werden im Folgenden vorgestellt.

4. Nutzen des Multi-Channel-Learnings

Die in Projekten umgesetzten Multi-Channel-basierten Lernsysteme sind in lernpsychologischen Studien evaluiert worden (21). Die Ergebnisse dieser Untersuchungen heben die positive Wirkung des Konzepts auf den Lernerfolg hervor. In der Studie von KAMINSKI/RAABE wird das besondere Potenzial des Ansatzes betont, den Anforderungen des lebenslangen Lernens gerecht werden zu können. Das hohe Maß an Freiheitsgraden in der Ausführung individueller Lernprozesse in Wissensnetzwerken bietet zudem neue Möglichkeiten des berufsbegleitenden Lernens (21). Über die Potenziale für den Lerner hinaus bietet Multi-Channel-Learning Unterstützung bei der Lösung aktueller Herausforderungen des E-Learnings an Hochschulen und in Unternehmen.

Effektivität und Effizienz von Lernprozessen

Für den praktischen Einsatz von E-Learning-Systemen ist die Wirtschaftlichkeit der Lösungen entscheidend. Das Potenzial multikanalbasierter LCS zeigt hier das Beispiel des Wissensnetzwerks Controlling. Die Ergebnisse dieses Projekts konnten auf Basis des Multi-Channel-Modells bereits nach einer Projektlaufzeit von einem Jahr im operativen Hochschulbetrieb genutzt werden (25). Sowohl hinsichtlich der zeitlichen als auch der finanziellen Struktur wird es daher als Beispiel angeführt, "gutes E-Learning" nicht "teuer" sein muss (20). Eine wesentliche Ursache für die positive Wirtschaftlichkeit ist darin zu sehen, dass ein Großteil der Entwicklungsarbeit durch das Referenzmodell und die entsprechende Plattformunterstützung wieder verwendet werden kann. Da weder informationstechnisches noch mediendidaktisches Spezialwissen erforderlich ist, können die Lerneinheiten zudem unmittelbar von Fachexperten erstellt werden.

Koordination von E-Learning-Innovationen

Zur Entwicklung mediendidaktisch hochwertiger E-Learning-Einheiten ist in Projekten ein breites Spektrum an Aufgaben zu koordinieren, die sowohl Fach- als auch Methodenkompetenzen erfordern. Eine Mehrkanalstruktur der Lerneinheiten begünstigt hier die verteilte Erstellung von Lerneinheiten, die als Multi-Authoring bezeichnet wird (21). In Entwicklungsprojekten können so einzelne Kanäle arbeitsteilig umgesetzt werden. Neben den damit verbundenen Zeitvorteilen bei Parallelisierung von Entwicklungsprozessen eröffnet das Multi-Authoring auch Spezialisierungsmöglichkeiten. Sie bestehen darin, dass gezielt Experten einzelner Lernkanäle involviert werden können. Auf diese Weise können neben Skaleneffekten auch Qualitätssteigerungen erreicht werden.

Entwicklung des E-Learning-Portfolios

Angesichts der raschen Veränderung der Lernbedarfe kommt der kontinuierlichen Entwicklung des Portfolios an Lerneinheiten einer Institution eine wesentliche Bedeutung zu. Das Multi-Channel-Learning eröffnet hier die Möglichkeit, entlang des Lebenszyklusses von Lerneinheiten eine evolutionäre Entwicklung einzelner Lernkanäle vorzunehmen. Dies umfasst sowohl die sequenzielle Hinzuschaltung von Lernkanälen als auch deren gezielte Modifikation bei punktuellen Bedarfsänderungen. Beispielsweise können junge Themengebiete schnell anhand textlicher Entwürfe behandelt werden, die möglicherweise ad hoc am Arbeitsplatz des Autoren, Lehrers oder Lerners erfasst werden. In späteren Reifestufen können die Aufzeichnungen bedarfsgerecht ausgebaut und um weitere Lernkanäle ergänzt werden. Durch diese Integration der Autorentätigkeit mit den alltäglichen Arbeitsprozessen verschiedener Nutzer kann eine kontinuierliche Entwicklung des Lerneinheiten-Portfolios erfolgen.

Strategieimplementierung im E-Learning

Zur Koordination der Aktivitäten auf dem Gebiet E-Learning, haben Bildungsinstitutionen, aber auch Unternehmen zukünftig verstärkt E-Learning-Strategien zu entwickeln und zu implementieren. Das MCL-Referenzmodell bietet hierfür einen Bezugsrahmen. Es liefert eine Terminologie, anhand derer Angebot und Nachfrage an Lerneinheiten intersubjektiv nachvollziehbar beschrieben werden können. Indem die betriebswirtschaftlichen Phänomene des "Learnings", "Teachings" und "Authorings" anhand von Kanälen operationalisiert werden, kann ein Grundstein für die organisationsweite Kommunikation auf dem Gebiet des E-Learnings gelegt werden. Dies schafft günstige Voraussetzungen, um auf der Grundlage multikanalfähiger E-Learning-Systeme eine bedarfsgerechte Bereitstellung von Lerneinheiten zu gewährleisten.

5. Ergebnisse

Mit diesem Beitrag wurde ein Referenzmodell für die Gestaltung von Learning-Content-Systemen vorgeschlagen. Das Modell behandelt das Problem, bei der Entwicklung derartiger Systeme den situativ erheblich variierenden Präferenzen der Nutzer gerecht zu werden. Als Lösungsansatz wird vorgeschlagen, Systeme zu entwickeln, mit denen bei der Aufbereitung der Lerninhalte einer Mehrkanalstrategie gefolgt werden kann. Das Referenzmodell wird daher als Multi-Channel-Learning bezeichnet. Das Modell wird durch Informationsmodelle eingeführt und anhand von praktischen Anwendungsbeispielen veranschaulicht. Zu den Anwendungen zählt sowohl die Vorstellung von Plattformen als auch von Organisationsformen für das E-Learning nach dem MCL-Referenzmodell. Auf dieser Basis konnte schließlich eine Abschätzung der Potenziale des MLC im E-Learning vorgenommen werden.

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